Falkenschwur: Die Fortsetzung des Bestsellers »Pestsiegel« (German Edition)
Augen waren geschlossen. Ein Krachen, Zweige knackten und lenkten meinen Blick auf den Hang. George hatte die Pistole gepackt und den Landsknecht zu Boden gerungen, hielt seine Handgelenke fest und drückte ihn nach unten.
Nehemiah setzte sich auf, sah verständnislos zu den kämpfenden Männern. Sein Blick war starr, das Gesicht bleich. Er wirkte wie ein frischer Rekrut: Vor der Schlacht ganz aus dem Häuschen, verwandelten sie sich bei den ersten Schüssen, dem Lärm und dem Durcheinander in reglose Statuen.
Der Landsknecht entwand sich langsam Georges Griff. Ich machte ein paar humpelnde Schritte und erreichte meine Pistole, doch ich wagte nicht, einen Schuss auf die zuckenden, ringenden Leiber abzufeuern.
»Geh und hilf ihm!«, schrie ich Nehemiah zu.
Mit leerem Blick sah er mich an. Der Landsknecht hatte eine Hand freibekommen. George packte sie erneut, aber sein Gegner war stärker und schob seine Hand Zoll um Zoll hinunter zum Messer in seinem Gürtel.
»Hilf ihm!«, brüllte ich, riss Nehemiah hoch und stieß ihn den Hang hinauf. Ich humpelte ihm nach, als er hinreichend gehorsam hinauflief. Doch als er die Kämpfenden erreichte, stand er machtlos da und trat, immer noch mit tranceartigem Blick, von einem Fuß auf den anderen. Der Landsknecht riss seine Hand los und schnappte sich das Messer. Erst jetzt rührte Nehemiah sich. Der Landsknecht stach nach ihm und erwischte ihn an der Hand. Der Streich lähmte Nehemiah erneut, aber die kurze Ablenkung genügte George, um sich zu befreien und das Messer wegzutreten.
Inzwischen hatte ich die Kämpfenden erreicht und zielte mit der Pistole auf den Landsknecht. Auf einmal war es still, bis auf die heiseren Schreie der über uns kreisenden Krähen.
Nehemiah starrte auf das Blut, das aus seiner Hand sickerte. »Er hat mich geschnitten.«
Mit dem blonden Haar und den blauen Augen hätte der Landsknecht aus Deutschland stammen können. Ehe er sich wieder besinnen konnte, hatte George dem Mann den Gürtel abgenommen und seine Hände damit gefesselt.
»Wo ist Richard Stonehouse?«
Der Mann lächelte – es war dasselbe leutselige Lächeln, mit dem er uns bereits beim Gasthaus in der Nähe von Bedford bedacht hatte. »Weit weg. Er hat den König.«
»Lügner!«, sagte ich. »Wenn er den König hat, warum bist du dann hier?«
»Er hat mich ge… schnitten «, wiederholte Nehemiah leise und ungläubig. Er schien sich in einer ganz eigenen Welt zu befinden, als er zusah, wie das Blut von seiner Hand tropfte. Unvermittelt stieß er einen Schrei aus, ergriff das Messer und stach grimmig auf den Landsknecht ein. Wenn der Mann sich nicht weggedreht hätte, hätte der Hieb ihn getötet. So zerriss er nur sein Wams. Nehemiah holte ein weiteres Mal aus, und nur mit vereinten Kräften schafften George und ich es, ihn wegzuziehen. Der Landsknecht spie vor Nehemiah aus. »Der ist ja toll.«
Ich spannte die Pistole, richtete sie auf den Landsknecht und fragte ihn noch einmal, wo Richard sei. Wieder lächelte er mich nur auf diese besondere Weise an. Während des Krieges hatten beide Seiten Folter eingesetzt. Es war Routine, aber ich hatte mich nie dazu überwinden können. Vielleicht lächelte der Landsknecht aus diesem Grund. Er spürte es.
»Tötet ihn«, sagte Nehemiah. Er starrte den Landsknecht an und presste ein Taschentuch auf seine Wunde.
Das Lächeln des Mannes wirkte wie eingebrannt.
»Wir verschwenden unsere Zeit!«, sagte George. »Bis Holdenby ist es noch eine halbe Stunde.«
Ich schob die Pistole zurück in meinen Gürtel, hob das Messer auf und reichte es Nehemiah. Das Lächeln verschwand aus dem Gesicht des Landsknechts. Er war ein wohlgestalteter, eitler Mann, der bislang offenbar hinreichende Vorsicht gewahrt hatte, denn er wies nur wenige Spuren seines Berufs auf. An seinem Hals hatte er eine Narbe, aber sein Gesicht war makellos.
»Stich ihm die Augen aus«, sagte ich.
Nehemiah starrte mich an, dann den Landsknecht. Es wurde so still, dass wir die Pferde auf der Lichtung unter uns grasen hörten. Die Krähen ließen sich auf einem Baum in der Nähe nieder. Bis Nehemiah sich bewegte, hätte ich nie geglaubt, dass er es tun würde. Als ich seine entschlossene Miene sah, den eigentümlichen, entrückten Ausdruck in seinem Blick, wusste ich, dass er zustechen würde. Er schien den Landsknecht zu hypnotisieren. George wandte sich ab.
»Lass ihm ein Auge«, sagte ich. »Wenn er uns erzählt, was er weiß.«
Der Landsknecht trat um sich und kämpfte.
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