Fallen Angel 07 Tanz der Rose
unverschlossen, und er ließ sich schwer auf die hinterste Eichenbank fallen. Immerhin war er hier vor dem Wind geschützt und konnte sich ungestört erholen.
Weil die Kapelle zum ausgedehnten Landbesitz von Kirby Manor gehörte, trug er die Kosten für die Instandhaltung. Ihm fiel plötzlich ein, daß er unlängst einen Brief von einer Gruppe Methodisten erhalten hatte, in dem sie baten, hier Gottesdienste abhalten zu dürfen. Der Herzog von Ashburton wurde ständig mit allen möglichen Anliegen belästigt, doch in diesem Fall hatte er bereitwillig seine Erlaubnis erteilt, weil es ihm grundsätzlich widerstrebte, Gebäude leer stehen zu lassen. Von seiner Großzügigkeit gegenüber Andersgläubigen überrascht, hatten die Methodisten sich überschwenglich bedankt, worüber er kurzfristig erfreut gewesen war, bevor er die ganze Angelegenheit vergaß.
Sein Blick schweifte über die bleiverglasten Fenster zum schlichten Altar, auf dem nur ein Messingkreuz stand. Die Gemeinschaft hatte die Kapelle gründlich gesäubert und die rauhen Steinmauern getüncht, doch sie wurde allem Anschein nach noch nicht benutzt und wirkte auf Stephen deshalb so trostlos wie ein Mausoleum.
Sobald er morgens aufwachte, fragte er sich als erstes, wieviel Tage er jetzt noch mindestens zu leben hatte, doch jetzt bezweifelte er, daß er es auch nur auf die neunzig bringen würde, die Blackmer ihm ursprünglich garantiert hatte. Blieben ihm noch fünfundvierzig? Oder nur dreißig? O Gott, ein Monat mit Rosalind mußte ihm doch noch vergönnt sein!
Aber wie würde er sich in diesem letzten Monat fühlen? Und warum erwähnte er Gott, obwohl er doch gar nicht an ihn glaubte? Stephen verzog bitter den Mund. Nicht einmal in dieser uralten Kapelle, die seit fast tausend Jahren die Küste bewachte, spürte er die Gegenwart Gottes, die anderen Menschen Trost spendete.
Eine ohnmächtige Wut stieg plötzlich in ihm auf und verdrängte seine Depression. Es war verdammt ungerecht, daß er ausgerechnet jetzt, da er sich zum erstenmal in seinem Leben wirklich glücklich fühlte, in die Einsamkeit eines kalten Grabes gestoßen wurde. Nein, das hatte er wirklich nicht verdient!
Der berüchtigte Jähzorn der Kenyons, den er seit seiner Jugend erfolgreich bezwungen hatte, kam schlagartig wieder zum Vorschein. Im Leben ging es so verdammt ungerecht zu, daß man eigentlich alles in Schutt und Asche legen sollte! So ähnlich mußte sich ein gehetzter Stier in der Arena Vorkommen...
Stephen umklammerte die Rückenlehne der nächsten Bank und ließ seinen Kopf auf die Arme sinken. Unbeherrschtheit konnte man in den Griff bekommen, aber gab es irgendein Hilfsmittel gegen Todesangst?
Rosalind wachte auf, als jemand sie in den Magen knuffte. Sie öffnete die Augen gerade noch rechtzeitig, um etwas schwarzoranges vom Bett springen zu sehen. Portia! Grinsend beobachtete sie, wie das Kätzchen durchs Zimmer tobte, von der Chaiselongue auf die Stühle und zurück. Offensichtlich hatte es seine erste große Reise gut überstanden und sprühte vor Energie.
Aber wo war Stephen? Sie setzte sich auf, leicht beschämt, weil sie ohne Nachthemd geschlafen hatte. Dann bemerkte sie die auf dem Kissen verstreuten Rosenblätter - ein Geschenk ihres abwesenden Mannes. Sie drückte eines davon an ihre Wange und errötete bei dem Gedanken, wie er sie in ihrer Hochzeitsnacht mit einer Rose verführt hatte.
Als sie einen Zettel auf dem Nachttisch liegen sah, griff sie danach und las: >Mache einen Spaziergang. Komme bald zurück. Was möchtest du nach dem Frühstück treiben? S. <
Noch stärker errötend, stand sie auf. Ohne das Kaminfeuer war es kalt im Zimmer, so daß sie beim Waschen und Ankleiden fröstelte. Um sich aufzuwärmen, ging sie nach unten in die Küche und bat Mrs. Nyland um eine Tasse Tee. Für die Haushälterin war es eine völlig neue Erfahrung, ungezwungen mit einer Herzogin zu plaudern, die ihren Tee in der Küche trank.
Weil Stephen noch nicht zurückgekommen war, beschloß Rosalind, selbst einen Spaziergang zu machen. In ihren Umhang gehüllt, ging sie hinaus. Vermutlich war ihr Mann am Ufer entlang in nördliche Richtung geschlendert, auf das offene Meer zu, das England von Irland trennte. Und irgendwo dahinter, in unvorstellbarer Ferne, mußte die geheimnisvolle Neue Welt liegen - eine faszinierende Vorstellung!
Sie genoß den Spaziergang trotz des kalten Windes, konnte Stephen aber nirgends erspähen. Offenbar hatte er doch eine andere Richtung
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