Fallen Angels 01 - Die Ankunft
Stimme klang so nah und doch so fern. »Ja. Ja, darfst du. Ich hab dich lieb. Bis später.«
Sie beendete das Gespräch und starrte auf das Display ihres Handys, wartete darauf, dass Vin fragte, was Robbie gesagt hatte. Das hatte ihr Ex immer gemacht. Jedes Mal, wenn sie telefoniert hatte, ob es nun ein Telefonverkäufer gewesen war oder ihre Haushälterin oder jemand für ihn: Mark hatte alles wissen müssen.
Doch Vin fragte nicht nach, und er schien auch nicht zu erwarten, dass sie ihn informierte. Und dieser Freiraum war … angenehm. Er gab ihr die Macht, selbst zu entscheiden, und sprach Bände, was Respekt und Vertrauen und all diese Dinge betraf, die sie bei ihrem ersten Beziehungsversuch nicht bekommen hatte.
Danke , wollte sie sagen. Stattdessen murmelte sie nur: »Er wollte ein Eis haben. Ich bin wohl eine grässliche Mutter. Das verdirbt ihm bestimmt den Appetit aufs Abendessen. Er isst immer früh. Um sechs schon.«
Vin legte seine Hand auf ihre. »Du bist keine grässliche Mutter. Das kann ich dir versichern.«
Marie-Terese sah aus dem Fenster, gerade fuhren sie an einer Bushaltestelle vorbei. Alle, die dort in dem Plexiglashäuschen warteten, starrten dem BMW nach, und als noch eine weitere Gruppe von Fußgängern ihnen kurze Zeit später die Köpfe zuwandte, hatte Marie-Terese plötzlich das Gefühl, dass Vin überall, wo er hinfuhr, solche Blicke auf sich zog, Blicke des Neids und der Bewunderung und … der Habgier.
»Mark hatte auch was für schöne Autos übrig«, sagte sie ohne Übergang. »Bei ihm waren es Bentleys.«
Sie konnte sich gut daran erinnern, neben ihm in diesen Wagen gesessen zu haben. Jedes Jahr hatte er sich einen neuen zugelegt, sobald das neue Modell auf den Markt kam, und anfangs hatte sie mit erhobenem Kinn auf dem Beifahrersitz gethront wie eine Königin. Wenn dann die Leute ihnen nachsahen, war ihre Brust vor Stolz angeschwollen, dass der Mann, dem dieses Auto gehörte, ihr Mann war, dass sie zu einem exklusiven Luxus-Club gehörte, der alle anderen ausschloss, dass sie eine Königin mit ihrem König war.
Heute nicht mehr. Heute sah sie die gaffenden Gesichter jenseits der Scheiben nur noch als Menschen, die in einem Wunschtraum gefangen waren. Nur weil man einen BMW fahren oder darin mitfahren durfte, hieß das noch lange nicht, dass man den Jackpot im Lebenslotto geknackt hatte. Wie sich herausstellte, war Marie-Terese auf dem harten Bürgersteig viel glücklicher gewesen als auf dem weichen Ledersitz.
Und auch weit besser aufgehoben als dort, wo sie am Ende gelandet war.
»Ich bin sehr wohl eine schlechte Mutter«, murmelte sie nun. »Ich habe ihn angelogen. Es ging nicht anders.«
»Du hast nur getan, was du tun musstest, um zu überleben.«
»Ich werde immer weiter lügen müssen. Denn ich will nicht, dass er das jemals erfährt.«
»Das muss er ja auch nicht.« Vin schüttelte den Kopf. »Ich finde, die Aufgabe der Eltern ist es, ihr Kind zu beschützen. Das mag altmodisch klingen, aber so empfinde ich das. Es gibt keinen Grund, ihn durchmachen zu lassen, worunter du gelitten hast. Es reicht vollauf, dass du das erleben musstest.«
Der Gedanke, der seit dem vorigen Abend durch ihren Kopf kreiste, schob sich wieder nach vorn in ihr Bewusstsein. Und ihr fiel kein Grund ein, ihn nicht laut auszusprechen.
»Ich habe es getan, um zu überleben, aber manchmal denke ich …« Sie räusperte sich. »Ich war auf dem College. Ich habe einen Abschluss in Vertriebswesen. Ich hätte mir einen Job suchen können.«
Zumindest theoretisch. Abgehalten hatte sie davon unter anderem der Umstand, dass sie kein hundertprozentiges Vertrauen in ihre gefälschte Identität gehabt hatte. Sie hatte befürchtet, die Sozialversicherungsnummer würde sich als die einer anderen Frau entpuppen, wenn sie offiziell für eine Arbeitsstelle angemeldet würde.
Aber ein anderer Grund für ihre Entscheidung war düsterer gewesen.
»Es bringt nichts, im Rückblick alles zu kritisieren«, wandte Vin ein. »Du hast in dem Augenblick getan, was du eben konntest …«
»Ich glaube, ich wollte mich bestrafen«, entfuhr es ihr. Als er ihr den Kopf zuwandte, sah sie ihm direkt in die Augen. »Ich gebe mir die Schuld an dem, was mein Sohn erleben musste. Ich habe mir den falschen Mann ausgesucht, und das war mein Fehler, aber mein Sohn musste deswegen leiden. Mit diesen … Männern zu schlafen - ich hab’s gehasst. Jeden Abend, wenn es vorbei war, habe ich geweint, und manchmal musste ich mich
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