Fallen Angels 01 - Die Ankunft
…«
Nur ein Blick auf die breite Brust des Mannes und Vin wusste, dass die Verletzung tödlich war. Jim hatte dieselbe flache Atmung, wie der Fremde sie gehabt hatte, und er würde ihm bald schon auf seinem Weg folgen. Seine Gesichtsfarbe verblasste in beunruhigendem Tempo, ein klares Anzeichen für innere Blutungen.
Verdammt, alles, was sie für ihn tun konnten, war, auf die Profis zu warten: Eine Herzlungenmassage war keine Option, solange Jim noch Puls hatte und aus eigener Kraft atmete, und Druck konnte gegen eine durchtrennte Arterie eh nichts ausrichten.
Zum ersten Mal in seinem Leben betete Vin, die Sirenen zu hören.
Jim war schon mehrmals angeschossen worden. Und hatte Stichwunden gehabt. War sogar einmal gehängt worden. Er war mit Fäusten und Brecheisen und Taschenmessern und Stiefeln malträtiert worden. Einmal hatte ihm jemand einen Füller in den Bauch gerammt.
In all diesen Situationen hatte er gewusst, dass er überleben würde. Egal wie schlimm der Schmerz war, oder wie sehr es blutete, oder wie gemein die Waffe war: Er hatte gewusst, dass seine Verletzungen nicht tödlich waren.
Und jetzt wusste er mit der gleichen Gewissheit, dass die Kugel in seiner Brust eine Spur der Verheerung hinter sich hergezogen hatte, die ihn seiner himmlischen Belohnung entgegentrüge.
Engel oder nicht Engel, er lag im Sterben.
Komisch, es tat gar nicht so weh. Da war ein starkes Brennen, und er bekam auch nicht anständig Luft, woraus er schloss, dass seine Lunge sich mit Blut füllte. Das, oder seine Brusthöhle leckte. Aber im Großen und Ganzen ging es ihm recht gut. Bisschen kühl vielleicht, aber weitgehend gut.
Also hatte er eindeutig einen Schock.
Diese kleine Kugel hatte wohl eine Arterie angekratzt.
Er öffnete seinen Mund rein instinktiv, nicht weil er beten oder darum betteln wollte, dass die Sanitäter sich beeilten. Er ertrank in seinem eigenen Körper, mehr gab es dazu nicht zu sagen.
Und es war eigentlich kein so übles Resultat. Dank der vier alten Knaben wusste er, dass er bald seine Mutter wiedersehen würde. Und er hoffte, das hübsche blonde Mädchen zu treffen, das nicht verdient hatte, so zu sterben.
Das alles schenkte ihm Frieden.
Seltsam, als vor seinem geistigen Auge die vier Weißgekleideten mit ihrem Hund auftauchten, wünschte er ihnen alles Gute. Offenbar hatten sich diese Engel geirrt; er war nicht die Antwort auf ihre Probleme - obwohl er ja immerhin Vin und Marie-Terese auf Kurs gebracht hatte.
Und ebenfalls merkwürdig: Am Ende hatte sich herausgestellt, dass der Scheideweg sein eigener gewesen war, nicht der von Vin.
Als er den erhobenen Lauf der Waffe gesehen hatte, hatte sein einziger Gedanke Vin und Marie-Terese gegolten. Marie-Terese zu retten hieß beide zu retten, und ihre Liebe war so viel mehr wert als irgendein armseliges Einzelleben.
Das war das erste Mal gewesen, dass er so etwas tat. Das erste Mal, dass er nicht nur wahrhaftig uneigennützig gehandelt hatte, sondern auch nicht aus Wut oder Rachedurst. Und nie zuvor war er sich einer Sache so sicher gewesen, außer damals, als er Vergeltung für seine Mutter geübt hatte.
Jetzt nahm er noch einmal all seine Kraft zusammen und richtete den Blick auf Marie-Terese und Vin, die sich beide über ihn beugten. Vin hatte seine Hand ergriffen und sprach mit ihm, vor Eindringlichkeit war seine Miene ganz verzerrt, die Augen brannten. Jim versuchte, sich zu konzentrieren und seine Ohren auf Empfang zu schalten, aber das Gesagte drang nicht zu ihm durch. Höchstwahrscheinlich redete ihm der Mann gut zu, er solle durchhalten, der Krankenwagen sei unterwegs, durchhalten, Krankenwagen unterwegs … oh Gott, Jim, bleib bei uns …
Ihm gegenüber weinte Marie-Terese leise, ihre wunderschönen Augen glänzten vor Kummer, und Kristalltränen tropften von ihren Wangen auf seine Brust. Sie hielt seine andere Hand und strich ihm langsam über den Arm, als versuchte sie, ihn aufzuwärmen.
Er konnte überhaupt nichts fühlen, aber er sah zu, wie sie ihn streichelte, und war gerührt.
Leider blieb ihm nicht mehr viel Zeit mit ihnen, und ihm fehlte die Luft, um zu sprechen … also tat er das Einzige, wozu er noch in der Lage war.
Mit dem letzten bisschen Kraft führte Jim Vins und Marie-Tereses Hände zusammen, verschränkte sie über dem kleinen, runden Loch in seiner Brust, das für sie drei alles verändert hatte, hielt die beiden Hälften zusammen, so dass sie eins wurden.
Immer undeutlicher wurden diese kleinen und
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