Fallen Angels 01 - Die Ankunft
konzentriert, und er war wie angewurzelt stehen geblieben. Blut auf der Uhr. Leuchtend rotes Blut war auf der Uhr gewesen.
Während er noch zu begreifen versuchte, was er da sah und warum er sich plötzlich so eigenartig fühlte, hatte eine weibliche Hand in die Auslage gegriffen und das Stück herausgeholt. Hinter ihr stand ein Mann mit einem erwartungsfrohen Gesicht, ein Kunde …
Doch er durfte die Uhr nicht kaufen - wer auch immer diese Uhr als Nächster trüge, würde sterben.
Mit einer Kraft, die nur ausgewachsene Panik verleiht, hatte Vin sich aus dem Klammergriff der Trance befreit und war in den Laden gerannt. Allerdings nicht schnell genug; eine der Begleitpersonen war ihm nachgelaufen und hatte ihn eingefangen, ehe er noch etwas sagen konnte. Und als er sich gewehrt hatte, um zu dem Mann mit der Uhr zu gelangen, war er am Kragen aus dem Geschäft geschleift und dazu verdonnert worden, im Bus zu warten, während die anderen ins Museum gingen.
Die Vision blieb folgenlos.
Zumindest zunächst. Sieben Tage später jedoch hatte Vin in der Schulcafeteria eine der Lehrerinnen mit offenbar genau der besagten Uhr am Handgelenk gesehen. Sie hatte sie ihren Kolleginnen vorgeführt und von ihrem Geburtstagsessen am vorangegangenen Abend mit ihrem Mann berichtet.
In derselben Sekunde war das grelle Aufblitzen eines Sonnenstrahls auf der Rutsche des Kinderspielplatzes durchs Fenster hereingefallen und genau auf Vins Auge getroffen … und dann hatte er wieder Blut auf der Uhr gesehen und noch viel, viel mehr.
Vin war auf dem Linoleumboden der Cafeteria zusammengebrochen, und als die Lehrerin zu ihm eilte und sich ganz nah über ihn beugte, sah er mit großer Deutlichkeit den Autounfall, in den sie verwickelt werden würde. Ihr Kopf prallte aufs Lenkrad, ihr zartes Gesicht platzte durch den Aufprall auf.
Er umklammerte ihr Kleid und versuchte ihr zu sagen, sie müsse den Sicherheitsgurt anlegen. Sich von ihrem Mann abholen lassen. Einen anderen Weg nach Hause fahren. Den Bus nehmen. Ein Fahrrad leihen. Zu Fuß gehen. Aber obwohl sein Mund sich bewegte, waren nur unzusammenhängende Silben herausgekommen. Zumindest so weit er mitbekam - wobei das Entsetzen auf den Mienen der Schüler und Lehrer um ihn herum ahnen ließ, dass sie sehr wohl verstanden, was er sagte.
Hinterher hatte man ihn zur Schulkrankenschwester geschickt, seine Eltern angerufen und ihnen mitgeteilt, dass er zu einem Kinderpsychiater müsse.
Und die Lehrerin … die hübsche, junge Lehrerin mit dem aufmerksamen Ehemann war an jenem Nachmittag auf dem Heimweg von der Schule mit der neuen Uhr am Handgelenk ums Leben gekommen.
Autounfall. Und sie war nicht angeschnallt gewesen.
Als Vin am nächsten Morgen davon gehört hatte, war er im Klassenzimmer in Tränen ausgebrochen. Natürlich hatten auch einige andere Kinder zu weinen begonnen, aber für ihn war es anders gewesen. Im Gegensatz zu ihnen hätte er die Möglichkeit gehabt, ihren Tod zu verhindern.
Danach hatte sich alles verändert. Es sprach sich herum, dass er den Tod vorausgesagt hatte - weshalb die Lehrer in seiner Gegenwart nervös wurden und seine Klassenkameraden ihm entweder aus dem Weg gingen oder ihn verspotteten.
Ab dem darauffolgenden Tag hatte sein Vater ihn verprügeln müssen, damit er in die Schule ging.
Abrupt verlor Vin den Faden, die Vergangenheit wurde zurückgedrängt, während der Anfall im Jetzt immer stärker die Herrschaft über seinen Körper und seinen Geist ergriff. Sein Bewusstsein verebbte mehr, als dass es dahinfloss …
Ein Pistolenschuss, der sich gellend löste und widerhallte. Jemand stürzte. Ein Körper schlug donnernd auf. Ein Pistolenschuss, der sich gellend löste und widerhallte. Jemand stürzte. Ein Körper schlug donnernd auf …
Unmittelbar bevor er ohnmächtig wurde, nahm die Vision vor seinem geistigen Auge klare Gestalt an, war nicht länger nur Klang, sondern echte Bilder … eine Sandburg, die vom Wind gebaut wurde, anstatt von ihm verweht zu werden. Er sah Marie-Terese mit erhobenen Händen, als wollte sie sich schützen, die Augen weit aufgerissen vor Entsetzen, den Mund zum Schrei geöffnet.
Und dann hörte er den Schuss.
Neunzehn
Etwa eine Stunde nachdem Adrian und Eddie aufgetaucht und ihre Arbeitskraft zur Verfügung gestellt hatten, schwang Jim ein Bein über das alte Motorrad und drehte den Schlüssel im Zündschloss. Ohne große Hoffnung, dass die Maschine anspringen würde, setzte er die Sohle seines Arbeitsstiefels auf das
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