Fallen Angels 02 - Der Dämon
erzählen.«
Sie wartete ... er schwieg weiterhin. Saß einfach nur da und atmete gleichmäßig, ein kompaktes Muskelpaket, die gefesselten Hände auf die Tischplatte gelegt, den riesigen Körper in den Stuhl gequetscht.
Beim ersten Treffen lümmelten die meisten ihrer Mandanten entweder mit hängendem Kopf auf dem Stuhl herum und zogen die mürrische Nummer ab, oder sie gaben sich ganz gekränkt und entrüstet und tischten ihr lauter Ausreden auf. Er tat keins von beidem. Sein Rücken war kerzengerade aufgerichtet, und er war hellwach, sagte aber kein Wort.
Sie räusperte sich. »Die Vorwürfe gegen Sie sind ernst. Der Mann, gegen den Sie gekämpft haben, wurde mit einer Hirnblutung ins Krankenhaus eingeliefert. Im Augenblick lautet die Anklage auf schwere Körperverletzung, aber wenn er stirbt, dann geht es um Totschlag oder sogar um Mord.«
Nichts.
»Mr Rothe, ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen, wenn ich darf.«
Keine Antwort.
Grier lehnte sich zurück. »Können Sie mich überhaupt verstehen?«
Vielleicht hatte er ja eine unerkannte Behinderung, dachte sie schon, da machte er den Mund auf. »Ja, Ma'am.«
Seine Stimme war so tief und eindringlich, dass Grier aufhörte zu atmen. Der weiche Klang dieser Worte passte überhaupt nicht zu seiner Körpergröße und den schroffen Gesichtszügen. Und sein Akzent ... andeutungsweise Südstaaten, befand sie.
»Ich bin hier, um Ihnen zu helfen, Mr Rothe. Das verstehen Sie doch, oder?«
»Das soll nicht respektlos klingen, Ma'am, aber ich glaube nicht, dass Sie das können.«
Eindeutig ein Südstaatenakzent. Sogar ein wunderschöner Südsstaatenakzent.
Sie schüttelte den Kopf, um ihn wieder klar zu bekommen. »Ehe Sie mich wieder fortschicken, sollten Sie zwei Dinge berücksichtigen. Im Augenblick ist keine Kaution für Sie festgesetzt, das heißt, Sie kommen hier bis zu Ihrer Verhandlung nicht raus. Und das kann Monate dauern. Und zum Zweiten: Wer sich selbst vertritt, hat wirklich einen Esel als Mandanten - das ist nicht nur ein Sprichwort. Ich bin nicht der Feind. Ich bin hier, um ...«
Endlich sah er sie an.
Seine Augen hatten die Farbe von Frost auf einer Fensterscheibe, und darin lagen die Schatten von Taten, die die Seele befleckten. Und als dieser unerbittliche, erschöpfte Blick sich quer durch ihren Schädel bohrte, blieb Grier das Herz stehen: Sie wusste sofort, dass er nicht einfach irgendein stinknormaler Schlägertyp war.
Er war ein Soldat, dachte sie. Ganz bestimmt - ihr Vater bekam in stillen Nächten denselben Ausdruck in den Augen.
Der Krieg machte so etwas mit Menschen.
»Irak?«, fragte sie leise. »Oder Afghanistan?«
Seine Augenbrauen zuckten leicht, aber das war die einzige Entgegnung, die sie bekam.
Grier tippte auf seine Akte. »Lassen Sie mich versuchen, eine Kaution für Sie zu erwirken. Fangen wir einfach mal damit an, okay? Sie müssen mir gar nichts darüber erzählen, warum Sie gestern verhaftet wurden, oder was passiert ist. Ich muss nur wissen, was für soziale Kontakte Sie pflegen, und etwas mehr über Ihren Wohnort erfahren. Ohne Vorstrafen stehen unsere Chancen nicht so übel ...«
Sie hielt inne, als sie bemerkte, dass er die Augen geschlossen hatte.
Okay. Das war das erste Mal, dass ein Mandant mitten in einer Besprechung ein Nickerchen einlegte. Vielleicht hatten Billy und Shawn C. weniger Grund zur Sorge, als sie glaubten.
»Langweile ich Sie, Mr Rothe?«, fragte sie nach einer Weile.
Fünf
»Langweile ich Sie, Mr Rothe?«
Wohl. Kaum.
Die Stimme seiner Pflichtverteidigerin klang wie ein Wiegenlied in Isaacs Ohr, ihr aristokratischer Tonfall und die vollendete Ausdrucksweise wirkten so wohltuend auf ihn, dass er eine eigenartige Angst vor ihr empfand. Eigentlich hatte er die Augen nur geschlossen, weil sie einfach zu schön war, um sie anzusehen, aber dann hatte sich noch ein zusätzlicher Vorteil daraus ergeben, dass das Licht aus war: Ohne durch ihr vollkommenes Gesicht und den klugen Blick abgelenkt zu werden, konnte er sich voll und ganz auf ihre Worte konzentrieren.
Ihre Sprachmelodie war poetisch. Selbst für einen Kerl, der nicht so auf die Herzchen-und-Blümchen-Nummer stand.
»Mr Rothe.«
Keine Frage mehr, ein Befehl. Ohne Zweifel ging er ihr allmählich ernsthaft auf den Senkel.
Als er vorsichtig die Lider öffnete, hatte er das Gefühl, es hätte ihm jemand einen Schlag gegen das Brustbein versetzt. Er versuchte sich einzureden, sie würde deshalb einen solchen Eindruck auf ihn
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