Fallen Angels 03 - Der Rebell
nicht schaffte.
»Jedenfalls werden wir deshalb nie zum Essen bei meinen Eltern eingeladen werden.«
Lahmer Witz. Keiner lachte.
Als er seine Zigarette aufgeraucht hatte, trat er sie mit dem Schuh aus – und bemerkte erst jetzt, dass seine Lederschuhe dieses Schlammbad nicht lebend überstehen würden. Reilly hingegen hatte es irgendwie geschafft, sich mit Wanderstiefeln auszurüsten.
Typisch für sie. Immer auf alles vorbereitet.
Als er aufblickte, stand sie unmittelbar vor ihm. Ihre Wangen waren von Wind und Anstrengung rosig gefärbt, in den Augen glänzte eine Wärme, die nicht nur von einem guten, sondern von einem offenen Herzen stammte. Strähnen, die sich aus ihrem Pferdeschwanz gelöst hatten, umgaben ihr Gesicht wie ein rötlicher Heiligenschein, und ihr Parfüm oder Shampoo oder was auch immer erinnerte ihn an den Sommer – an den normalen Sommer, nicht den letzten, den er als »Kind« erlebt hatte.
Und dann legte sie die Arme um ihn und hielt ihn einfach nur fest.
Er brauchte eine Minute, um sich auf die Situation einzustellen, weil er damit überhaupt nicht gerechnet hatte. Aber dann erwiderte er ihre Umarmung.
So standen sie sehr lange da.
»Ich hab keine Übung mit Beziehungen«, sagte er schließlich rau.
»Mit Kolleginnen, meinst du?« Sie zog den Kopf zurück und blickte zu ihm auf.
»Mit niemandem.« Er strich ihr über die Haare. »Und du bist viel zu gut für mich.«
Nach einer kurzen Pause lächelte sie zaghaft. »Dann ist die Couch also der Vorzugsplatz.«
»Nenn mich Casanova.«
»Was mache ich nur mit dir«, murmelte sie wie zu sich selbst.
»Ganz ehrlich? Keine Ahnung. Wenn ich eine Freundin von dir wäre, würde ich dir raten, dich aus dem Staub zu machen, und zwar im Laufschritt.«
»Sie sind nicht du«, sagte sie. »Deine Eltern definieren dich nicht.«
»Da bin ich mir nicht so sicher. Sie war die unterwürfige Anhängerin eines Psychopathen. Er ein Dämon mit einer kultivierten Maske. Und dann kam der Nachwuchs. Seien wir mal ehrlich, bis jetzt hat sich mein Leben einzig und allein darum gedreht, der Vergangenheit aus dem Weg zu gehen und bloß nicht über die Zukunft nachzudenken – weil ich eine Todesangst davor habe, nicht bloß den Namen von meinem Vater geerbt zu haben.«
Reilly schüttelte den Kopf. »Früher hatte ich immer Angst, die Frau, die mich geboren hat, würde eines Tages auftauchen und mich für sich beanspruchen. Endlos lange war ich fest davon überzeugt, dass alles, was mein Vater auf juristischem Weg unternommen hatte, nicht ausreichen würde, wenn sie mich zurückwollte. Ich konnte nachts nicht schlafen, und ich habe heute noch manchmal Albträume deswegen. Offen gestanden schlafe ich immer mit einer Kopie der amtlichen Adoptionspapiere neben mir auf dem Nachttisch, das nenn ich mal verrückt. Worauf ich hinauswill, ist: Sich lediglich vor etwas zu fürchten, verleiht einer Sache noch nicht die Macht, sich auch zu erfüllen. Die Angst verwandelt nichts in Wirklichkeit.«
Langes Schweigen folgte.
Er war derjenige, der es brach. »Streich das, was ich vorhin gesagt hab. Ich glaube, ich verliebe mich in dich. Hier und jetzt.«
Neunundzwanzig
Jim stand etwas abseits von Reilly und Veck, machte einen auf Stein und gab sich alle Mühe, nicht jedes Wort ihrer Unterhaltung mitzuhören. Und als sie sich umarmten, wandte er den Kopf ab.
Das Unsichtbarmachen hatte ja durchaus seine Vorteile, aber auf die Spannernummer stand er echt nicht.
Und diese gefühlsduselige Verzögerung passte ihm schon mal gar nicht in den Kram. Sie suchten nach Sissy – die Turtelei der beiden konnte doch wohl noch warten, bis sie das Mädchen gefunden oder festgestellt hatten, dass diese Ortsangabe geschwindelt war.
Er stieg von dem Fels, auf dem er gehockt hatte, herunter und landete in einer Pfütze, deren trübes Wasser ihm auf Hose und Stiefel spritzte. Dank des kleinen Kraftfelds, das er um sich herum aufgebaut hatte, machte er dabei allerdings kein Geräusch. Mannomann, dieser Steinbruch sah aus wie aus einer alten Folge Star Trek , nur ohne die roten Oberteile und die Transporter …
Unvermittelt blühte eine Wärme auf der einen Seite seines Gesichts auf, und er drehte den Kopf nach rechts. Ein Sonnenstrahl fiel zu ihm herab und traf ihn auf Schläfe und Kiefer.
Was zum Henker, dachte er, denn er stellte fest, dass er aus der falschen Richtung kam.
Stirnrunzelnd ging er ein paar Schritte rückwärts und drehte sich herum, folgte dem Pfad des zitronengelben
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