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Fallende Schatten

Titel: Fallende Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gemma O'Connor
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er es, nicht vertraulich zu werden. Wir stemmten die Köpfe gegen den Wind und den Regen und rannten wie Kinder zu meinem Auto – eigentlich war es Lilys kleiner Renault – und lehnten uns daran, während ich nach den Schlüsseln kramte. Ein riesiger schwarzer Mercedes schoß an uns vorbei und ließ gemeinerweise eine Fontäne aufspritzen. Beide waren wir so durchnäßt, daß unsere Schuhe glucksten, als wir in den Wagen stiegen. Mir war nicht klar gewesen, wie winzig er war, bis ich jetzt versuchte, mich aus meinem Mantel zu befreien. Mein neuer Freund bekam eine Faustvoll Gabardine nach der anderen ins Gesicht. Es war aussichtslos. Die Autofenster waren beschlagen, und zwei Leute auf so engem Raum, das war eindeutig einer zu viel. Ich hatte mich kaum unter Kontrolle, und jetzt drohte sie mir vollends zu entgleiten. Ganz anders Hanion.
    »Warten Sie einen Augenblick«, meinte er. »Hören Sie, ganz in der Nähe ist ein recht gemütliches Pub. Dort könnten wir uns doch ein bißchen trocknen.«
    »Das geht eigentlich nicht. Ich muß wieder zum Haus zurück.«
    »Eine Viertelstunde oder so macht doch bestimmt nicht so viel aus, meinen Sie nicht? Bei der Geschwindigkeit, mit der die lieben Alten dahinzuckeln, werden wir noch vor denen zurück sein.« Er kicherte. »Die Nachbarn werden sich schon um alles kümmern. Das Haus wird überfließen von Tee. Ich weiß nicht, wie es bei Ihnen aussieht, Nell, aber ich könnte jetzt einen Drink gebrauchen.«
    Das war eine erhebende Aussicht. Ich stieß einen Seufzer der Erleichterung aus. »Ich auch«, erklärte ich. »Ich auch.«
    »Dann also los.«
    Das Pub war leer, was um vier Uhr nachmittags nicht weiter überraschend war, aber es brannte ein loderndes Feuer, und das erstaunte mich schon. Der Wirt beobachtete kommentarlos, wie sich von unserem tropfenden Regenschirm und meinem Regenmantel Rinnsale über den Boden schlängelten. Als sich eine große Pfütze gebildet hatte, richtete er sich langsam auf und brüllte durch die offenstehende Tür hinter ihm: »Melda? Fußboden muß aufgewischt werden.« Dann dämpfte er die Lautstärke und sagte uns, was wir wünschten.
    »Heißen Whiskey.« Der hatte wirklich eine freundliche Art. War einer der größten Charmeure der Welt. Ich brach fast zusammen, als Hanion einwilligte. Ich sah mich schon mit einer Schnapsfahne durch die Trauerfeier für meine Mutter torkeln. Ich hoffte nur, die Nelken und die Zitrone überdeckten den Whiskeygeruch.
    Während Hanion an der Bar auf die Drinks wartete, ruhte ich mich neben dem Kamin aus und musterte ihn eingehend. Groß, sehr groß. Einsneunzig bis einsdreiundneunzig. Kräftig gebaut, sportlicher Typ – Rugby vielleicht –, der allmählich Speck ansetzte, obwohl er auf seine Figur zu achten schien. Die Nase war möglicherweise gebrochen. Elegant gekleidet: unauffälliger marineblauer Nadelstreifen, weißes Hemd, schwarze Krawatte, wie es sich für eine Beerdigung gehörte, teure schwarze (durchnäßte) Straßenschuhe. Kurzgeschnittenes dunkles Haar. Ein Gesicht mit leicht vorstehendem Kiefer, was ihm den leicht schmollenden Ausdruck verlieh, den ich schon bemerkt hatte. Als er sich jedoch jetzt umdrehte, um zu mir herüberzukommen, änderte ich meine Meinung. Offenes Lächeln, dunkle Augen. Etwas unter vierzig – sechs- oder siebenunddreißig vermutlich. Der Aufmachung nach zu urteilen ein Geschäftsmann. Wohlhabend. Erneut fragte ich mich, in was für einer Beziehung er wohl zu meiner Familie stand.
    »Bleiben Sie lange hier?« fragte Hanion höflich nach dem ersten ausgiebigen, wärmenden Schluck.
    »In Dublin? Nicht allzu lange. Ich habe einiges zu erledigen. Aber ich bin schon lange genug hier. Seit zehn Tagen. Seit dem Unfall«, fügte ich hinzu und begann mir augenblicklich Sorgen zu machen, weil ich nicht an meinem Arbeitsplatz war und nicht wußte, was ich mit dem Haus meiner Mutter anfangen sollte. Alle hatten mich gewarnt, wie gefährlich es sei, es leerstehen zu lassen.
    »Werden Sie das Haus verkaufen?« Er schien meine Gedanken zu lesen. Oder vielleicht machte er lediglich Konversation. Das kleine Häuschen meiner Mutter interessierte ihn wohl kaum.
    »Weiß noch nicht.«
    »Für Sie müssen eine Menge Erinnerungen damit verbunden sein.«
    »Ja.« Ich ging nicht näher darauf ein, obwohl ich merkte, er versuchte erneut, mich auszuhorchen. Zu welchem Zweck? Warum?
    »Oh. Natürlich.« Ein fast unmerklicher Anflug von Unsicherheit, als er zurücksteckte.
    »Haben Sie sie gut

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