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Fallera

Fallera

Titel: Fallera Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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Karabinerhaken haltend, war kunstvoll umgarnt, vor dem Ausfransen geschützt durch feine Kreuzstiche, einem Bein in einem Netzstrumpf nicht unähnlich. (Na ja. Wenn man so will.) Das andere, das von oben hoch auf mich herabgesegelt gekommen war, hatte diesen Schutz nicht aufzuweisen. Es war nackt und die Schnittstelle diagonal. Wieso? Längeres Betrachten und Befummeln und inneres Beratschlagen ließen nur eine Antwort zu: Das Seil, an dem ich hing, es war gekappt worden.
    Die Lawine war losgetreten worden. Horst und Atze waren über die Kante gestoßen worden. Dem Toni hatte man den Schädel eingeschlagen, und Kristof Kryszinski war nicht halb so verstrahlt, wie er befürchtet hatte.
    Urplötzlich packten mich würgende Sorgen um meine Gang.

Kapitel Acht
    »Ein Todessturz ist, philosophisch betrachtet,
    nichts anderes als die Erfüllung eines Lebens
    auf der Suche nach Größe in der Höhe.«
    ANTOINE DE SAINT-EXUPERY
     
    Sie hatte rotbraunes, von Natur aus gewelltes, schulterlanges Haar, das vorne in zwei kecke Spitzen auslief, sie hatte die Fältchen einer Frau, die gerne lacht, und die Figur einer Frau, die gerne isst, dazu ein Paar Lippen wie eine Garantie auf Wonne, sie hatte helle, durchsichtige Haut, unter der man die Adern an ihren Schläfen pochen sehen konnte, sie hatte einen Hauch von Sommersprossen auf ihrem Hauch von Nase, sie trug einen groben, weiten Wollpulli über knapp sitzenden Jeans, und wenn sie sich bewegte, verströmte sie eine Sinnlichkeit, die anschließend in der Luft hing wie schweres Parfüm. Und, ah - und sie hatte das Temperament einer Tellermine, auf der jemand Seilchen springt.
    Der Grund dafür war ich.
    »Ich bin unschuldig wie ein Lamm«, sagte ich, automatisch. Manchmal kann ich nicht anders.
    Sie hörte gar nicht zu.
    »Was«, wütete sie, »ist so Besonderes daran, wenn eine Frau mal einen Winter lang allein sein will?«
    Wütend stapfte sie auf und ab.
    »In den Bergen? In einer« - sie warf den Kopf in den Nacken und machte eine allumfassende Geste - »Höhle, na und?«
    Wenn das wieder mal eine deiner Halluzinationen ist, sagte ich mir, dann die lebendigste, die du je hattest.
    »Aah, ich hätte diesem verfluchten Reporter niemals ein Interview geben dürfen.« Wütend schlug sie ihre Faust gegen die Wand der - Höhle, denn das war es, worin wir uns befanden.
    Gottverdammt lebendig.
    »Und was der dann daraus gemacht hat!« Wütend nahm sie die gleiche Faust und hieb sie sich gegen die hohe, klare Stirn. »Niemals! Das war ein idiotischer Fehler! Doch er hatte so schöne ... Hände«, beruhigte sie sich etwas.
    Unwillkürlich, wie ein Reflex, sah ich auf meine hinunter. Meine . Pranken. In die sich der Dreck der letzten Tage hineingearbeitet hatte, dass es wohl Äther brauchen dürfte, ihn wieder herauszukriegen. Rissig die Haut, jede einzelne Linie dunkel konturiert, die abgebrochenen und angefressenen Nägel mit pechschwarzen Rändern. Hm.
    »Und dann fühlte ich wohl auch, dass es vor einem ganzen Winter der Abstinenz vielleicht nicht dumm wäre, noch mal ein bisschen . ein letztes Mal .« Sie brach ab, drehte verträumt an einer Haarsträhne herum.
    Sie isst nicht nur gerne, stellte ich fest. Aber das geht ja meistens Hand in Hand.
    »Und dann das!«, fuhr sie mich an und drückte mir einen Zeitungsausschnitt in die ... Pranken.
    >DAS MODEL UND DAS DYNAMIT< las ich, im Schein der baumelnden Glühbirne. »Ich bin« - zur Abwechslung hieb sie die Faust mal auf die Platte des robusten Tisches, der unter der baumelnden Glühbirne stand - »Bergwerksingenieurin! Nur um mir das Studium zu finanzieren, habe ich hier und da mal gemodelt!«
    Auch für Dessous, wenn mich das dem Artikel zur Seite gestellte Foto nicht trog, Jeija.
    »Und seitdem ist hier die Hölle los! Weißt du, wie viele von deiner Sorte allein in den letzten fünf Tagen hier hochgekraxelt gekommen sind?«
    Ich mochte das >von deiner Sorte< nicht besonders, aber die Frage war so oder so rhetorisch gemeint, also hielt ich den Mund, in die Betrachtung des Fotos versunken, bis sie es mir recht brüsk wieder abknöpfte. Mann, ich war müde.
    »Warte, lass mich nachrechnen!« Frau Ingenieurin nahm die Finger zuhilfe. »Zwei Reporter«, rechnete sie vor, »einer davon sogar vom Fernsehen, mit einem Kameramann im Schlepptau! Gleich drei Phantasten, die mich retten wollten. Jeder einzelne ein Schleimbeutel sondergleichen.«
    Sie schüttelte sich. »Und einer, ein ungewaschener Typ mit einem irren Blick und Dreadlocks,

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