Fallera
beschäftigen. Mit der Zukunft, nach dem Schacht. Ich hatte mir nämlich noch etwas ausgeliehen von Mona: In der Innentasche meines Parkas steckte eine höchst präzise topografische Karte, herausgegeben vom Schweizer Ministerium für Montanbauwerke.
Darauf eingezeichnet waren sämtliche 87 Löcher - oder Stolleneingänge -, die hoffnungsfrohe Goldgräber in die beiden Hänge links und rechts der Schlucht getrieben hatten, durch die das Flüsschen >Edda< strömte. Denn aus den Fluten der Edda waren Anfang der vierziger Jahre die ersten Goldkörnchen gewaschen worden, Auslöser des rund zehn Jahre währenden Fiebers. Ursprünglich - wir sind hier in der Schweiz - war vor jedem Schacht eine Metallplakette angebracht gewesen mit allen Angaben, die ein Heer obsessiver Bürokratenseelen für unabdingbar hielt. Nummer und Name des jeweiligen Lochs nur ein Teil davon. Doch das war fünfzig Jahre her, und
Souvenirjäger hatten so gut wie alle Schilder mitgehen lassen. Das machte die Bestimmung der einzelnen Schachtanlagen nicht so einfach, selbst mit einer Präzisionskarte, doch wenn man, wie ich es gleich zu tun hoffte, seinen Kopf aus einem dieser Löcher streckte und mit Sicherheit sagen konnte, dies ist Nummer 31, Eulalias Mund oder Arsch, wie man will, und ich befinde mich demzufolge genau hier auf der Karte, sollte das die Dinge ein bisschen vereinfachen. Hoffte ich.
Zehn Tonnen Gold, dachte ich, und die Bauchkrämpfe, die Atemnot und die Schweißausbrüche ließen merklich nach. Nur das Herzrasen blieb.
Krabbel, krabbel, krabbel. Seit frühester Kindheit hatte ich solche Distanzen nicht mehr auf Händen und Knien zurückgelegt. Gegen Ende - meiner Nerven, wo ich mich in dem Schacht befand, war nicht zu sagen - hielt ich mal kurz inne, um mich zu sammeln, um mir in stummer Zwiesprache mit mir selbst ein bisschen Mut zu machen, um den wahnsinnig machenden Umstand zu verfluchen, dass es zu eng war, an die Tasche mit meinen Zigaretten zu kommen, um mich zum hundertsten Mal zu fragen, wie man beschaffen sein musste, um mit ratterndem Bohrer oder Presslufthammer solch eine Röhre in den nackten Fels zu treiben, verschnaufte also für ein kleines Minütchen, und das Blut stockte mir in den Adern.
Krabbel, krabbel, krabbel.
Jemand, oder etwas, folgte mir durch diesen beklemmenden Schlauch. Kratz, kratz, kratz. Schab, schab, schab.
Das ist nur dein Echo, versuchte ich mich zu beruhigen, während mein Helm mit jeder meiner immer schneller werdenden Kontraktionen des Zwerchfells einmal knirschend gegen die Decke stieß, doch das schlurfende, scharrende Geräusch hinter mir kam näher und näher, wo sich ein Echo ja hätte entfernen müssen, und damit, ging mir auf, war mir ein Rückzug unmöglich, und tausend schrille Klingeln gingen in meinem Kopf los und zündeten ein Feuerwerk von Lichtblitzen, und der Wunsch, die Glieder zu strecken, aufzustehen, den ganzen verdammten Berg anzuheben, nur um mich umdrehen und hinter mich blicken zu können, er war nicht mehr zu bändigen, oder fast nicht . ich glaube, ich schluchzte vor Anstrengung, nicht auszurasten.
»Ha!«, machte es, als mein Hintern einen Schubs erhielt. Christine. Die mit dem pathologischen Männerhass. Und dem Grund dazu.
Jeden Augenblick rammt sie dir jetzt das längste Messer, das sie in der Küche hat finden können, hintenrein, bis zum Anschlag, und dreht dann den Griff rund und rund und rund, um den größtmöglichen Schaden anzurichten .
»'tschuldigung«, kam es von hinter mir, »ist mir so rausgerutscht. Wollte dich nicht erschrecken. Dachte, du könntest vielleicht ein bisschen Unterstützung brauchen.«
Der längste, der tiefste Atemzug meines Lebens, und wir waren wieder unterwegs.
»Gute Idee«, fand ich, weiterkriechend. Fand ich wirklich.
Ohne den Helm hätte mein Schädel ausgesehen wie die Oberfläche des Mondes, als wir endlich, das erste Mal seit Gott weiß wie vielen Stunden, seit gestern Abend, wieder Tageslicht erspähten.
Goldminen, ich hatte sie mir anders vorgestellt, aber echt. Der Nebenschacht, er war ein bisschen weiter gewesen als die anfängliche Röhre, aber nicht entscheidend höher. Und in dem Hauptstollen mit den Schienen war hier und da so etwas wie ein aufrechter Schimpansengang möglich, doch die meiste Zeit war man doch wieder auf allen vieren unterwegs.
Licht! Aah! Nur raus hier und niemals wieder zurück. Nicht für zehn Tonnen - Na. Erst mal raus hier. Und dann müssen wir mal weitersehen.
Aus der tiefsten
Weitere Kostenlose Bücher