Fallkraut
jetzt. Ich mach mir gleich in die Hose.«
Valentine schnäuzt sich in den Zipfel des Geschirrtuchs und reicht es an mich weiter. Sie lehnt sich erschöpft auf der klebrigen Bank zurück. »Puh, kurz durchschnaufen.«
Stille senkt sich über das Abteil. Valentine gähnt, beugt sich vor und zieht den Reiseführer aus meiner ÂTasche, den ich beim ANWB in Enschede gekauft habe.
»Och, das ist aber schade«, sagt sie, als sie das Büchlein aufschlägt. »Für die Loreley sitzen wir auf der falschen Seite.«
Nach anderthalb Stunden hält der Zug an unserem Reiseziel.
Ãchzend steigt Valentine das Trittbrett hinunter. »Wo sind die Fachwerkhäuser?«, fragt sie.
»Weggezaubert«, sage ich. Ich sehe einen einzelnen Kirchturm und an einem Berghang eine Ruine, die mehr einem alten Schornstein gleicht als dem früheren Aufenthaltsort der Rheingold-Ritter. Unser Hotel liegt eine Viertelstunde zu Fuà vom Bahnhof entfernt. Wir müssen laufen, denn vor dem Bahnhof gibt es keinen Taxistand, und von einem Bus haben sie hier offenbar noch nie etwas gehört.
»Ein Stückchen laufen schadet nichts«, sage ich munter zu dem Schatten, der über Valentines Gesicht gleitet. »Wir haben den ganzen Tag auf dem faulen Hintern gesessen. Guck«, ich zeige auf ein Aushängeschild vor einem Restaurant, »für sechs Mark fünfundneunzig kriegen wir hier schon ein Rumpsteak mit Pommes und ein Glas Wein dazu. Es ist hier viel billiger als in den Orten, wo es von Touristen wimmelt. Dafür machen sie es in der Drosselgasse in Rüdesheim nicht.«
»Nein, nicht in der Drosselgasse«, schnauft Valentine.
»AuÃerdem sind alle schönen Durchblicke hier nur einen Katzensprung entfernt. Wir können mit der Fähre zu der Burg am anderen Ufer, Forellen essen im Wispertal oder einen Einkaufsbummel in Rüdesheim machen. Es fährt jede Stunde ein Zug.«
Das »Hotel am Park« liegt an einer DurchgangsstraÃe. Ein Park ist weit und breit nicht zu entdecken. Ich habe ein Zimmer mit zwei Einzelbetten gebucht. Für zwei Zehner pro Nacht haben wir das, plus ein eigenes Bad mit Toilette. Mit Valentine in einem Bett zu schlafen, stelle ich mir lieber nicht mehr vor. Neulich habe ich in der Zeitung etwas über eine Elefantenmutter gelesen, die ihr Junges im Schlaf erdrückt hat.
Ich steige zum Portal des Hotels hinauf und stoÃe eine Tür mit undurchsichtigen Buckelglasfenstern auf. Ein lauter Summer ertönt. Irgendwo hinter der verrauchten Gaststube, noch an einem dunklen Gang vorbei, der zu den Toiletten führt, einer Spülküche voller Kisten, Eimer mit Besen und Scheuerlappen vermutlich, dort irgendwo erhebt sich ein schrilles Kläffen. An der Theke sitzen zwei Männer über die Schaumkrone ihres Biers gebeugt. Eine Barfrau steht hinter dem Zapfhahn und poliert ÂGläser. Gerade als ich denke: Die könnte ihre Brille ruhig auch mal wieder putzen, reiÃt sie den Mund auf und schreit über ihre Schulter hinweg: »Siegfried! Rosamund! Schnauze!« Dann wendet sie den Kopf und entblöÃt lachend ein braun geflecktes Gebiss: »Was darf es sein, meine Guten?«
Verdammt, denke ich. Verdammt.
Unten riecht es nach Frittierfett, doch unser Zimmer oben ist tipptopp in Ordnung. Im Badezimmer hängen saubere Handtücher. Die Deckbetten riechen frisch. Im Duschabfluss liegen keine Haare. Und vom Boden eines funkelnagelneuen Toilettenbeckens lächelt mir eine rosa Meerjungfrau entgegen. Das Zimmer ist nicht groÃ, aber völlig ausreichend. Es gibt eine Sitzecke mit einem Couchtisch, einen groÃen Kleiderschrank mit Spiegel und zwei Flügeltüren, die auf einen kleinen Balkon führen, der auf den Innenhof des Hotels schaut.
»Schön ruhig«, sage ich zu Valentine. »Auf der Vorderseite hat man sicher sehr unter dem Verkehr zu leiden.«
Ich gehe auf den Balkon und lehne mich über das Geländer. Unten auf dem Hof sitzen zwei Hunde in einer Hütte: Viecher mit zottigen Haaren, die nach allen Richtungen abstehen, und Köpfen, die aussehen wie zerbissene Tennisbälle. Männchen, die bestimmt hinpinkeln, wo es ihnen passt, und wahrscheinlich noch dazu auf jedes Bein losfahren, das sie erwischen können. Mein Gott, was kläffen diese Biester!
Ich schlage die Balkontür zu und drehe mich um. Jetzt bemerke ich auch den eingerahmten, gestickten Spruch an der Wand: »Ein guter
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