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Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucette ter Borg
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er, mache letztendlich den Unterschied.
    Was verstand er schon von Musik?
    Valentine hat es leicht. Auf dem Klavier schlägt man eine Taste an, und der Ton, den die Taste über die Hämmerchen auf die Saiten überträgt, ist immer rein. Auf dem Klavier haben alle Noten ihren eigenen Platz, und man muss nicht mit einem Bogen, einem Büschel Pferdehaare und vier Saiten eine Melodie hervorzaubern. Nie braucht Valentine zu hören, ob sie ein A spielt. Sie weiß, dass sie ein A spielt, weil das A zwei weiße Tasten links vom C liegt.
    Ich war vierundzwanzig, wohnte schon in Hengelo. Der Dirigent und der Direktor des Theaters in Enschede waren Zuhörer im Kurhaus in Bad Bentheim gewesen, wo ich mit Valentine an einem Sonntagvormittag die Frühlingssonate aufgeführt hatte.
    Sie luden mich zum Vorspiel in Enschede ein. Sie suchten eine Erste Geige und einen Konzertmeister. »Wir proben im Vereinshaus von Stork«, sagten sie. »Haben Sie einen Zettel, dann schreiben wir Ihnen die Adresse auf.«
    Zu dieser Zeit legte ich noch meine Hand auf Sjors’ Arm, wenn ich etwas von ihm wollte. Zu dieser Zeit half Sjors mir beim Niederländischen und sorgte dafür, dass ich wusste, was »geradeaus« und »an der zweiten Kreuzung links« bedeutete und wie ich mich beim Milchmann verständlich machen musste. Zu dieser Zeit half Sjors mir bei einer ganzen Menge anderer Dinge.
    Doch jetzt sagte er: »So ein Kaffeekonzert mit deiner Schwester, das wird zum Vergnügen organisiert. So was darfst du nicht ernst nehmen, Liebling, denn guck dir an, was im Saal sitzt: Der Großteil versteht nichts von Musik und ist hier, weil er sich sonst am Sonntag zu Tode langweilt. Aber das Theater, das ist etwas ganz anderes. Da hören die Leute kritisch zu.«
    Ich lachte über Sjors’ Worte. Ich hatte gerade Beethoven gespielt und nahm vier Stück Kuchen von der Schale. »Für den Heimweg«, sagte ich und legte sie Sjors in die Hand.
    Im Zug zurück saßen wir nebeneinander und schauten auf die Bauernhöfe, die Felder und Weiden, von Eichen- und Birkenwäldern umsäumt. Es war ein matschiger Sommer.
    Â»Hier in der Gegend«, sagte Sjors und nahm einen Bissen von dem Kuchen, »ist es nicht üblich, dass verheiratete Frauen ihren Lebensunterhalt verdienen. Mein Gehalt als Lehrer ist ausreichend.«
    Wir fuhren gerade über die Dinkel, die über die Ufer getreten war. Ich winkte einem jungen Bauern, der sein Vieh auf höher gelegenes Land trieb. Die Beine der Tiere versanken bis über die Knöchel im Schlamm, und als sie den Zug sahen, reckten sie die Schwänze in die Höhe und stoben davon.
    Â»Liebling«, sagte ich und drehte mich zu ihm um. Ich küsste einen Krümel aus seinem Mundwinkel. »Ich kann nun mal keinen Fluss überqueren, indem ich einfach nur aufs Wasser starre.«
    Ich stehe von meinem Bett auf und gehe zu dem Kasten. Ich klicke die Verschlüsse auf. Knarrend klappt der Deckel hoch.
    Wie der Lack das Licht fängt.
    Wie stark das Holz ist und wie empfindlich zugleich.
    Ein Himmel von Dunkelgelb, viel schöner als meine alte Thibout.
    Ich bin die einzige, die weiß, was in diesem Kasten ist. Nur ich habe gesehen, wie er hereingetragen wurde. Nur ich weiß, wie viel Geld unten in der Diele von meiner Hand in die des anderen gewechselt ist. Nur ich habe mit dem Mann an der Tür gesprochen. Nicht einmal die neugierige Vroegop von nebenan mit ihrem Wäschekorb voller Fragen über den Liguster hinweg, nicht einmal die hat etwas mitbekommen, denn sie hat gerade die Terrasse geschrubbt. Ich habe die Eimer klirren hören.
    Ich.
    Mein.
    Mir.
    Â»Einen kompletten Wald halten Sie in den Händen«, sagte der Mann. »Zweiundachtzig Teile, ich habe sie alle gezählt, auch das klitzekleinste Stückchen. Rosenholz, Fichtenholz, Ebenholz, Ahornholz.«
    Der Mann sprach ein plattes Deutsch und entblößte beim Lachen zwei Goldzähne. Ich fragte ihn in beinahe ebenso plattem Deutsch: »Von wem kommst du? Hat Weiss dich geschickt?«
    Ich streichle den Hals, den Bauch und die Saiten der Geige und schließe den Deckel dann wieder. Ich schleiche ins Bad, trinke ein paar Schlucke Wasser, lasse mich aufs Klo sinken. Es ist ein schweres Jahr gewesen. Sjors oft weg. Schüler. Krüske, der neue Dirigent.
    Von der ersten Probe an habe ich den Mann widerlich gefunden. Die Arroganz, mit der er dem Orchester

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