Fallkraut
Frühstücksraum liegt in der ersten Etage. Ich nehme die Treppe, Valentine den Fahrstuhl. Es frühstückt noch niemand. Valentine drückt auf die Tischglocke, und die Barfrau von gestern taucht auf. Sie trägt eine knallgrüne Schürze, auf die in blauen und gelben Kreuzstichen ein Name gestickt ist: Renate. Um die Buchstaben herum tollen Hündchen mit blonden Locken und Schleifen zwischen den Ohren, ganz anders als die rauhaarigen Monster, die mit hängenden Pimmeln um die Beine der Frau wuseln.
»Danke schön, Renate«, sagt Valentine, als die Frau Platten mit Wurst, Käse und Brötchen auf den Tisch stellt.
»Alle denken, dass ich Renate heiÃe«, antwortet die Barfrau. »Aber ich heiÃe Annelore. Diese Schürze hat meiner Schwester gehört. Herzinfarkt, vor zwei Jahren, nach ein paar Gläsern Sekt an meinem Geburtstag.« Sie macht eine schneidende Geste an ihrem Hals entlang. »Sie haben noch versucht, sie zu reanimieren, aber nein, mit einem Schlag hinüber. Hat geraucht wie ein Schlot, meine Schwester.« Annelore wischt mit der flachen Hand Krümel von der Tischdecke. »Was wollen Sie trinken, meine Damen? Kaffee, Tee, warmen Kakao?«
Wir bestellen beide ein Kännchen Kaffee.
»Wie alt schätzt du sie?«, fragt Valentine, als Annelore nach hinten verschwindet.
»Bestimmt Ende fünfzig.«
»Jünger. Guck dir das Dekolleté an, keine Falte zu sehen. Und sie hat auch keine Fleischschürze.«
»Keine was?«
»Fleischschürze. So ein runtergeklappter Lappen, der am Bauch hängt, manchmal bis unter den Schritt. Manche Damen kriegen das in den Wechseljahren. Ich nicht. Bei mir rundet es sich, aber alles straff.«
»Gut so«, sage ich. Ich warte mit dem Brotschmieren, bis der Kaffee und die Eier gebracht werden.
Annelore schenkt ein. »Wer mag sagen, wie meine Schwester sich jetzt fühlt?«, fragt sie an niemand Bestimmtes gerichtet. »Vielleicht ist sie überglücklich auf ihrer Wolke. Sie hat sich auf dem Höhepunkt davongemacht, und recht hat sie.« Annelore zieht die Schultern hoch, bückt sich und hebt ihre Hunde vom Boden auf.
So in Annelores Armen zurückgelehnt, bieten die Viecher freie Sicht auf zwei schmuddelige, bepickelte Bäuche. Die Tiere schauen, als hätten sie gerade eine Schlacht gewonnen. Annelore küsst die Hunde zwischen den ÂOhren. Ihre Augenringe sind gelb. Sie sieht müde aus, obwohl der Tag noch so jung ist.
Nachdem Annelore gegangen ist, entsteht eine Pause. Ich massiere mein Knie. Das Nickerchen vorhin hat mir wohlgetan. Der Schmerz ist abgeklungen. Das trifft sich gut, dann ziehe ich heute mit Valentine los und kann morgen zu der Adresse, die Adriaan mir gegeben hat.
»Haben dich die Mücken heute Nacht auch so gepiesackt?« Ich köpfe mein Ei. »Mich schon. Ich bin dreimal ins Ohr gestochen worden.« Ich schiebe mein Haar zurück und beuge mich vor.
»Das ist ja ein Riesending«, sagt Valentine mit vollem Mund. »Ich hab so ein Zeug oben. Das mach ich dir nachher drauf.«
Valentine richtet ihre Aufmerksamkeit auf das Körbchen mit Kaiserbrötchen. »Jeden Tag ein gekochtes Ei, das macht meinen Tag gut. Und wie herrlich, dass alles bereitsteht. Kaffee, Aufschnitt, Marmelade. Danach sehne ich mich manchmal ganz schön zu Hause. Dann liege ich im Bett und hoffe so sehr, dass jemand Kaffee für mich kocht und mit den Frühstückstellern klappert. Kannst du mir bitte einmal Butter geben?«
Ich schaue zu, wie Valentine ihren Butterwürfel auffaltet und das ganze Stück auf eine Hälfte ihres Brötchens schmiert. »Das ist nicht gesund für dich«, sage ich. »Deine Adern setzen sich zu von dem ganzen Fett, und bald kriegst du einen Herzinfarkt, dann hockst du neben Annelores Schwester auf der Wolke.«
Ich greife nach meinem Kaffee, aber meine Hände zittern auf einmal so stark, dass der Kaffee fast über den Rand der Tasse schwappt. Ich sollte es Valentine lieber erzählen. Lieber jetzt in den sauren Apfel beiÃen als später ein böses Gesicht, Streit und Gott weià was für Ãrger. Ich stelle die Tasse ab und stecke meine zitternden Hände unter den Tisch.
»Ãbrigens«, sage ich, »ich wollte es dir schon früher erzählen. Das Orchester«, ich räuspere mich, »ich bin zurückgesetzt worden, deklassiert.«
Valentine inspiziert die Wurstplatte. Sie
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