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Fallkraut

Fallkraut

Titel: Fallkraut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lucette ter Borg
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hat ihre Brille dabei abgenommen und fingert die Scheiben auseinander, mit, ohne, mit Speck.
    Â»Abkassiert?«, fragt sie und wählt zwei Scheiben Gelbwurst.
    Â»De-klas-siert.«
    In der Küche hört man Türen auf- und zuschlagen, eine Waschmaschine geht an.
    Â»Wer hat dich abkassiert? Dieser miese Fleischer bei dir an der Ecke? Ich habe doch schon immer gesagt, dass er …«
    Â»Im Orchester.«
    Valentine belegt die eine Hälfte ihres Brötchens mit Gelbwurst, die andere mit Bierschinken. Dann drückt sie die Hälften aufeinander und beißt hinein. »Göttlich«, seufzt sie. »Das haben wir jetzt gebraucht, was?«
    Ich nicke.
    Â»Was guckst du so komisch?«, fragt Valentine. »Du machst mich nervös. Und wenn ich nervös bin, muss ich lachen. Was hast du gerade gesagt?«
    Â»Schon gut«, antworte ich, »nicht so wichtig.«
    Â»Irgendwas mit dem Orchester«, fährt Valentine mit vollem Mund fort. »Dass jemand zurückgesetzt wurde. Wer? Du?«
    Valentine starrt mich an, kauend, peilend. Ihre Lippen kräuseln sich zu einem Lächeln, oder bilde ich mir das nur ein?
    Ich klappe meinen Mund auf und zu. Meine Hände unter dem Tisch zittern immer noch. Ich muss mich konzentrieren, auf Annelore zum Beispiel, die ab und zu jemandem hinten in der Küche etwas zuruft und zwischendurch an der Theke eine Zigarette raucht. Ich schaue zu, wie sie ihre Lippen zu einem Kreis formt und perfekte Kringel ausbläst, die größer und größer werden, bis sich der Rauch in nichts auflöst.
    Â»Ach nichts«, sage ich und lege meine Hände wieder auf den Tisch. Ich erzähle es ihr später, zu einem anderen Zeitpunkt, wenn der Lärm dieser Waschmaschine weg ist. »Ist dir auch so heiß?«, frage ich. »Ich finde es hier zum Ersticken.«
    Ich traue mich alles Mögliche, warum nicht das? Schweiß perlt mir auf der Oberlippe, an der Stelle genau zwischen meinen Schulterblättern fängt es an zu jucken. Ich scheuere mich an der hölzernen Lehne meines Stuhls und greife zum Eierlöffel. »Ein Kollege von mir im Orchester, Diederik, ein Erster Hornist, ist zurückgesetzt worden.«
    Â»Kenn ich nicht«, sagt Valentine.
    Â»Er spielt noch nicht so lange bei uns.« Das trockene Eigelb krümelt vom Löffel auf meinen Schoß.
    Â»Vorsichtig abklopfen«, empfiehlt Valentine, »sonst reibst du das Ei rein und kannst die Hose wegschmeißen. Gut so.«
    Ich schüttele die Krümel von meiner Hose auf meine Hand und werfe sie in den Aschenbecher auf dem Tisch.
    Â»Schade für diesen Diederik«, fährt Valentine fort. »Was soll er jetzt machen? Wird er weniger verdienen? Kündigt er? Niemand geht schließlich aufs Konserva­torium, um später in einem Orchester irgendwo in der hintersten Reihe zu landen.« Sie schaut mich an. »Nicht wahr, Liebes, das würdest du doch auch nicht wollen?«
    Â»Nein«, antworte ich und quäle mir ein mattes Lächeln ab, »das wäre wirklich übel.«
    Valentine will Lorch erkunden. Aber zuerst muss sie Schuhe anprobieren. »Vielleicht gibt es Kopfsteinpflaster und hohe Bordsteinkanten.«
    Sie probiert Slipper mit halbhohen Absätzen an. »Drücken an der Ferse«, sagt sie.
    Sie probiert flache Schnürschuhe an, aber die sitzen wieder nicht bequem am Spann.
    Sie probiert Sandalen an, aber da müssen eigentlich Strümpfe dazu, sonst sieht man ihre Hühneraugen.
    Dann greift sie zu einem Paar beigen Ballerinas.
    Â»Die stehen dir prima«, sage ich. Ich habe ein Handtuch auf dem Boden vor den Balkontüren ausgebreitet und mache die Yoga-Heuschrecke. Das Einatmen geht lautlos durch die Nase, beim Ausatmen konzentriere ich mich auf das sägende Geräusch in meiner Kehle. Ich liege auf dem Bauch, den Kopf schräg, und stemme die Beine in die Höhe. Ich spüre, wie sich die Muskeln im unteren Rücken spannen. Meine Därme werden gedehnt, entspannen sich, ich höre, wie sich eine Gasblase löst. Alles wird gut, wirklich.
    Valentine spaziert um mich herum, stellt sich auf die Zehenspitzen, auf die Fersen, und sagt dann zufrieden: »Ja, die sitzen bequem. Aber ich ziehe mir schnell einen anderen Rock dazu an.«
    Schließlich ist es gegen elf, als wir das Hotel verlassen. Die Sonne steht schon hoch über den Weinbergen. Wir laufen die belebte Schwalbacher Straße hinunter in Richtung Rhein

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