Fallkraut
gegenübertritt. Seine Kleidung, sein Schnaufen, wenn Krankheiten zur Sprache kommen, Kinder, die Geburtstage feiern, Verwandte, die ins Krankenhaus gebracht werden müssen. Bauern sind wir für ihn. Halbtalente. Passionslose.
Er hält einen Monolog über Rembrandt und den Kontrast von Licht und Schatten und dass das den Unterschied zwischen normalen Orchestern und Spitzenorchestern ausmache. Das sollten wir uns hinter die Ohren schreiben.
Als ob wir in Enschede nur Sonntagsspieler wären und nicht versuchen würden, ein professionelles OrÂchester auf die Beine zu stellen. Dass nie etwas gut genug ist.
»Es sind die Zeiten«, sagt Caravan-Kees, »die sich ändern, und der Geschmack ändert sich mit. Was die Menschen früher virtuos fanden, gilt heute als abgestanden und hoffnungslos altmodisch.«
»Musik hört auf, Musik zu sein, sobald das Ego Einzug hält«, sagt Krüske.
Als ob es mir jemals darum gegangen wäre.
»Beweisen Sie sich künstlerisch, Frau Raffelsberger. Beweisen Sie, dass Sie Ihren Platz ganz vorn auf dem Podium behalten müssen. Spielen Sie vor. Sie müssen weg von der Routine. Es gibt Geiger, die viel jünger sind als Sie, die viel mehr wollen und können.«
Krüskes Augen und Ohren, ich spüre sie von vorn, von hinten, von der Seite und von oben, vom ersten Rang aus. Ich fange an, mich unsicher zu bewegen und zu klingen, treffe die Töne nicht richtig. Was ich spiele, klingt nicht so toll, nein. Das höre ich selbst.
Aber das wird sich jetzt ändern. All das, was in den vergangenen Monaten gewesen ist, war nur vorübergehend. Nach dem Sommer werden die Dinge anders. Das hoffe ich. Das muss so sein. Dann werden sie alle Stielaugen machen, wenn sie sehen, womit ich zurückkomme. Krüske auch.
Ich reiÃe Klopapier ab, wische mich zwischen den Beinen ab und ziehe die Unterhose hoch. Ich spüle nicht. Das würde Valentine aufwecken. Auf Zehenspitzen laufe ich wieder ins Zimmer. Ich schiebe die Vorhänge vor den Balkontüren ein Stück zur Seite und schaue in den Himmel, der die Farbe von Vergissmeinnicht hat. Da bricht auf dem Innenhof ein schrilles Gebell los. Die ScheiÃhunde.
Ich trete zurück und stoÃe dabei an den Couchtisch mit dem TrockenblumenstrauÃ. Der Tisch wackelt, ich drehe mich um, greife nach der Vase, nach dem Tisch. Unten ist das Rasseln von Drahtgewebe zu hören, ich sinke auf mein rechtes Knie, Fressnäpfe scheppern auf der Terrasse, ein schneidender Schmerz zuckt von meinem Knie über die Seite bis in meine Schläfe, das Gekläffe wird zum Gekreische, die Trockenblumen trudeln in einem Staubhüsteln auf den Teppich, auf dem Hof geht ein Sirenenton los. Ich falle.
»Was tust du da?« Valentines Stimme klingt heiser.
Ich ziehe mich hoch. Mein Knie sticht. Ich rücke den Tisch zurecht und stopfe die Trockenblumen in die Vase zurück.
»Was machst du schon so früh?« Valentine langt nach einem Wasserglas mit ihren dritten Zähnen auf dem Nachtschränkchen neben sich.
»Nichts.«
Das Gebiss klirrt, als Valentine einen Schluck nimmt.
»Ich konnte nicht schlafen.«
»Warum nicht?« Valentine schlägt ihre Augen zur Decke. »Mein Gott. Was diese Hunde für einen Lärm machen. Hättest du nicht danach fragen können bei der Reservierung? Ob sie hier auch ruhige Zimmer haben?«
»Da hättest du eben selbst was organisieren müssen.« Ich bücke mich und reibe mir das Knie. Der Urlaub hat noch nicht einmal angefangen, und mir tut jetzt schon das Bein weh.
»Und weil du nicht schlafen kannst, weckst du mich auch auf?«
»Aus Versehen«, murmele ich. »Dreh dich nur noch mal um.« Warum lässt sie mich nicht in Ruhe?
Valentine richtet sich mühsam weiter auf, stopft sich ihr Kissen in den Rücken. Ihre Brüste schwingen wie Abrissbirnen hin und her. »Du brütest über etwas.« Valentine zieht ihre gezupften Augenbrauen zu Bögen hoch.
»Nein.«
»Doch. Du brütest über etwas, und ich darf es nicht wissen.«
Ich starre auf Tines wogendes Fleisch, wie es unter dem Flanell zum Stillstand kommt. Ich habe nichts. Momentan suche ich im Regal nach 80A, früher war es 75 AA . Fast nicht zu kriegen. Das habe ich von Papas Seite der Familie. Das waren alles Storchenbeine, die sich selbst aufzehrten. Wenn ich nervös bin, habe ich morgens zweimal hintereinander Stuhlgang, und
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