Fallkraut
Berge in diesem Land, in dem Karel keine Freunde mehr hatte, aber bei Gegenwind musste man am Kanal kräftig in die Pedale treten, und auch die kerzengeraden Wege an den Feldern entlang hatten keine Bäume.
Zähneklappernd kam das Häufchen Elend nach Hause, kalten Schweià auf der Stirn. Ich nahm ihm die Jacke ab und bürstete ihm das Eis aus den Augenbrauen. Die Schneekristalle auf seiner Schulter schmolzen. Die Flocken auf seinen Hosenbeinen rannen in Strahlen auf das Linoleum im Flur.
Ich hätte tausend Dinge sagen können, etwa: Selber schuld, du wolltest nicht hören, und jetzt ist es zu spät.
Stattdessen schloss ich die Tür hinter Karel und sagte: »Ich wisch das gleich auf, Herr Ex-Gemeindeschatzmeister. Zieh deine nassen Sachen aus, ich mache sie wieder sauber und trocken. Hopp hopp, der Ofen brennt. In fünf Minuten kriegst du Suppe.«
Das unabsehbare Ende meiner Haare, von oben nach unten, in der Mitte meines Rückens. Nicht nachgeben. Nachgeben zögert den Schmerz hinaus. Und der Schmerz kommt doch, so wie der Schmerz kam, als Otto neun Monate in meinem Bauch gesteckt hatte und der Tag des Gebärens angebrochen war. Was war der Schmerz an meinem Kopf im Vergleich zu dem Gevierteiltwerden, das Doktor Fokkemaat mit einem Gesicht wie drei Tage Regenwetter Geburt nannte?
Es war kein Anblick, wie Karel sich über den Lenker seines Fahrrads krümmte, auf dem Gepäckträger Taschen voller Dinge, die niemand kaufen wollte. Man blieb doch immer ein ScheiÃmof, wie lange der Krieg auch vorbei war. Die Wölfe witterten Blut.
Verstehen Sie, Doktor Fokkemaat, wie ich mich schäme? Verstehen Sie, dass ich, wenn ich irgend gekonnt hätte, ganz bestimmt ausgestiegen wäre? DreiÃig Jahre Ehe mit Karel van Snitten waren nämlich kein Liebeslied, sondern dreiÃig Jahre lang ein täglicher Kampf ums Durchhalten.
Was war übrig von dem Braunhemd, das an der Spitze der Kolonnen fahneschwenkend durch die Langestraat marschierte? Was war übrig von dem Mann, der das Kind von Mastbroek über die StraÃe zerrte, weil es das Hühnerstallfenster des Landesverräters Steenenbrink mit einem Stein eingeworfen hatte? Was war übrig von dem zackigen Vater, der meinem Otto beim Jugendsturm beibrachte, Knoten zu binden und Feuer zu machen?
Was war übrig von diesem braunen BullenbeiÃer?
Die Zähne waren ihm im Lager ausgefallen. Sein Rückgrat war verkrümmt von den schweren Säcken, die er hatte schleppen müssen, und aus seinen kaputten Lungenbläschen stieg nur noch Geröchel auf.
Sollten wir seinen Bauch mit einem rostigen Messer aufschneiden und seinen Magen mit Steinen füllen? Armes Karlchen von Snitten. Nun, von mir aus.
Fünf. An den Schläfen tut es am meisten weh, will die Kopfhaut mit dem Haar mit, hinter dem Haar her, reiÃt die Haut sich mit Gewalt von der Schädeldecke los.
Lieber Jesus Christus, dessen Blut ich jeden Sonntag trinke und dessen Leib ich esse, ich flehe dich an: Vergib mir.
Ich weià um die guten und die schlechten Zeiten, um die sieben mageren und die sieben fetten Jahre.
Sigrid meint, dass ich Karel die sieben mageren Jahre verzeihen müsse. Dass das möglich sei. Dass ich auch Âeinen anderen Weg wählen könne. Dass ich mich sonst auch kaputtmachen würde.
Ich versuche es. Jeden Abend nehme ich es mir vor, wenn ich im Bett liege. Aber was waren dann die fetten Jahre, wenn es nicht einmal einen Fettrand zu essen gab?
Ich hätte nie einsteigen dürfen. Nie die Ruder ergreifen und in die Richtung rudern dürfen, in die Karel steuerte. Die Dinge liefen anders, als ich hoffte, so inständig hoffte, während ich die Kartoffeln schälte, mit der Messerspitze die hässlichen gelben und grünen Augen entfernte und die mondbleichen Knollen in einen Topf mit klarem Wasser fallen lieÃ.
Die Menschen sind schlecht und unbeständig, und wenn sie mir eins auswischen können, dann tun sie es. Wenn sie mich im Stich lassen wollen, dann tun sie es, egal ob ich mich für sie aufgeopfert habe oder ihnen unvorstellbar viel geschenkt habe. Sieh dir Brigit an, das Einäuglein, das genau wie Otto lieber weit weg zieht als in meine Nähe.
Barmherzige Lilie unter den Dornen, Heilige Maria, Mutter Gottes, jetzt und bis in Ewigkeit bitte für mich. Nur für mich, und wenn du es nicht schaffst, dann will vielleicht die Heilige Theresia mitbitten. Ich rufe dich an,
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