Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
zu töten, und zur Hölle mit den Folgen.«
»Fliss kann nichts dafür, was sie ist, Cayal.«
»Sie könnte die größte Bedrohung sein, die diese Welt gesehen hat, seit wir kamen«, warnte ich.
»Oder unsere Rettung«, gab Arryl zurück.
Ich schüttelte den Kopf. Diese Sechsjährige umzubringen war mit Sicherheit das Vernünftigste, was ich in den letzten Jahren getan hatte – ganz gleich, wie widerwärtig die Tat an sich auch war.
»Was verlangst du dafür, Cayal, wenn du es nicht tust?«
»Arryl, wenn ich sie nicht töte, wird man mir das ewig vorhalten. Außerdem würde es einfach einer von den anderen tun.«
Sic funkelte mich an. »Was ist wichtiger, Cayal? Dein Ruf oder das Leben deiner Tochter?«
Ich schüttelte den Kopf und lächelte sie an. »Du machst mir kein schlechtes Gewissen, Arryl. Du weißt nicht, wessen Kind sie ist.«
»Doch, das weiß ich.«
»Das läuft nicht«, warnte ich sie und kehrte ihr den Rücken zu. »Obwohl … netter Versuch.«
»Elyssa führt Protokoll«, verkündete Arryl, als ich mich zum Gehen wandte. »Sie hat Unterlagen darüber. Davon sagt sie dir und den anderen nichts – aus genau den Gründen, wegen denen wir jetzt hier stehen.«
Mir lief es eiskalt den Rücken hinunter. Ich blieb stehen und starrte sie an.
»Fliss ist dein Kind, Cayal. Alita wurde von Krydence gezeugt. Nilaba wurde von Jaxyn gezeugt, und Travus ist der Sohn von Rance. Tryan hat seit Jahren keinen Gezeitenwächter gezeugt, aber Elyssa wartet noch auf den günstigsten Zeitpunkt, um es Syrolee zu erzählen. Bislang ist sie wohl nicht verärgert genug über ihren Bruder, um es gegen ihn zu verwenden.«
»Woher weißt du, dass sie Unterlagen hat?« Ich hoffte, dass Arryl sich irrte, obwohl ich schon ahnte, dass sie wusste, wovon sie sprach. Arryl ist nicht die Lügnerin unter uns. Sie ist vielmehr diejenige, die zusammengeschlagene Reisende von der Straße aufliest und gesund pflegt.
»Ich habe sie eingesehen.«
»Ich glaube dir nicht.«
»Doch, tust du«, sagte sie und kam ein bisschen näher. »Deshalb hast du dich auch freiwillig gemeldet.«
»Jetzt bildest du dir wirklich Blödsinn ein.«
»Selbst wenn du die physische Ähnlichkeit zwischen dir und dem Kind nicht siehst, Cayal, glaube ich, dass du dich dafür hergibst, weil du tief in deinem Herzen die Wahrheit kennst.«
»Wir sind Gezeitenfürsten, Arryl. Wir haben kein Herz mehr.«
»Das ist nicht wahr.«
»Besuch mal eine Crasii-Zuchtfarm«, regte ich an. »Das dürfte dich überzeugen.«
Sie streckte die Hand aus und berührte mein Gesicht. »Ich versuche nur, dir zu helfen, Cayal.«
»Warum?«, fragte ich und fuhr zurück.
Sie ließ den Arm sinken und sah mich prüfend an. »Weil du einer der wenigen bist, die noch nicht ganz verloren sind.«
»Tatsächlich? Wie kannst du das wissen?«
»Du empfindest kein Vergnügen am Töten.«
»Bist du dir da sicher?«
»Ja.«
»Du irrst dich, Arryl«, sagte ich. »Du irrst dich in allem. Fliss ist nicht mein Kind, und ich bin nicht besser als jeder andere Narr an diesem gezeitenverlassenen Ort. Mach nicht etwas aus mir, was du gern in mir sehen würdest, statt mich zu sehen, wie ich bin.«
Sie musterte mich noch einen Augenblick und zuckte dann die Achseln, sichtlich enttäuscht über meine Reaktion. »Dann, Cayal, entschuldige ich mich für meinen Fehler, zu denken, du hättest noch einen Funken Menschlichkeit in dir. Ich nehme an, dann bist du auch nicht an meinem Plan interessiert, Fliss zu retten. Viel Spaß bei der Ermordung deines eigenen Kindes.«
Sie drehte sich auf dem Absatz um und ging den gepflasterten Pfad zurück. Als sie drei Schritte getan hatte, seufzte ich und schüttelte den Kopf.
»Arryl?«
»Ja?« Sie blickte sich über die Schulter um, als hätte sie keine Ahnung, warum ich sie zurückrief »Was für ein Plan?«, fragte ich.
49
»Wollt Ihr mir etwa erzählen, dass Ihr das arme Kind tatsächlich getötet habt?«, fragte Arkady, als Cayals Stimme bei Tagesanbruch ins Stocken kam. Das Feuer war erneut bis auf die Glut heruntergebrannt, aber sie war ausreichend durchgewärmt. Sie saß dicht neben ihm auf dem Boden vor der Feuerstelle. Irgendwann hatte sie ihren Kopf an seine Schulter gelehnt, die Augen zugemacht und sich vom Klang seiner hypnotischen Stimme an einen Ort und in eine Zeit entführen lassen, die unmöglich existiert haben konnte.
»Nein, ich habe Fliss nicht getötet.«
»Warum habt Ihr mich dann gewarnt, dass ich Euch nicht mehr
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