Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
wie ich nur konnte. Es begann zu regnen. Dann wurde der Regen zur Sintflut. Und hörte für einen Monat oder noch länger nicht mehr auf.«
»Haben Arryl und Diala nicht versucht, Euch daran zu hindern?« »Das war aussichtslos. Ich verfüge über weit mehr Macht als beide zusammen. Doch selbst wenn jemand in der Nähe gewesen wäre, der die nötigen Kräfte besaß, bezweifle ich, dass man mich hätte aufhalten können. Ich hatte die Macht blinden Jähzorns. Maßlose Wut trieb mich an.«
»Habt Ihr denn keinen Augenbück an die Menschen gedacht?« Er schüttelte den Kopf. »Es war mir gleich, was ich tat, Arkady, könnt Ihr das nicht einsehen? Mein einziger Gedanke war, diese verfluchte Flamme auszulöschen – mit einem Ozean, wenn es sein musste. Und genau das war am Ende auch nötig, ehe sie endlich zischte und verlosch. Ich hatte einen Ozean darübergeschüttet – ein Binnenmeer, um genau zu sein. Tatsächlich war es das Große Binnenmeer von Torlenien, obwohl mir das damals nicht bewusst war. Ich war zu wütend, um mich darum zu scheren, woher das Wasser kam. Ich dachte wohl, es käme aus den Meeren, aber Süßwasser ist leichter als Salzwasser, versteht Ihr, und das größte Süßwasservorkommen in der Nähe lag nun mal in Torlenien. Für die heutigen Großen Seen könnt Ihr Euch bei mir bedanken, denn es gab sie nicht, bis ich kam. Seht Ihr, so begann die Legende, dass die Tränen des unsterblichen Prinzen Eure Seen geschaffen haben.« Er lächelte auf eine Art, die Arkady das Blut in den Adern gefrieren ließ. »Komisch, so gesehen steckt in dieser Legende sogar ein Körnchen Wahrheit.«
»Und wie viele unschuldige Menschen starben elend wegen Eures Zorns?«
Cayal zuckte scheinbar unbeteiligt die Achseln. Rührte dieser völlige Mangel an Reue daher, dass es schon zu lange her war, oder war er tatsächlich so ein Scheusal? Arkady wünschte, sie wüsste die Antwort. Es wäre bedeutend leichter für sie, mit ihren eigenen Gefühlen fertig zu werden, wenn Ersteres der Fall war.
»Millionen, schätze ich«, antwortete Cayal. »Ein Teil in den Fluten, der Rest in den Jahren der Dürre und Hungersnot, die dann kamen, weil die Welt unter den Folgen meines Unwetters litt. Man kann nicht in diesem Maße das Klima durcheinanderbringen, ohne über mehrere Jahrhunderte indirekte Folgen für die ganze Welt in Kauf zu nehmen. Dies war weit schlimmer als Magreth. Was ich tat, warf die Menschheit von Amyrantha zurück ins Zeitalter der Steinäxte und Höhlenmalereien.«
»Ihr klingt, als wärt Ihr stolz darauf.«
»Das bin ich«, sagte Cayal ohne Zerknirschung. »Ich habe die Ewige Flamme ausgelöscht. Das allein rechtfertigt jedes Leben, das ich vernichtet habe.«
Ein Teil von ihr empörte sich über die gnadenlose Überheblichkeit dieses Mannes, der für den Tod von Millionen verantwortlich war. Doch ihr Herz verkrampfte sich zugleich vor Mitleid für den Vater, der mit ansehen musste, wie das Kind, das er liebte, schreiend bei lebendigem Leib verbrannte.
»Hat es Euren Schmerz gelindert«, fragte sie leise, »all diese Menschen zu töten?«
»Nichts lindert jemals den Schmerz, Arkady. Nicht einmal der Zahn der Zeit kann ihn benagen, und die Gezeiten wissen, dass ich diese Theorie sattsam erprobt habe.«
Aus einem Impuls heraus griff sie über den Tisch und legte ihre Hand auf seine. Dieser Mann verdiente ihr Mitleid nicht. Wenn sie ihrem logischen Denkvermögen folgte, müsste sie schreiend vor ihm davonlaufen. Er war arrogant, grausam und erbarmungslos. Ihr Verstand wusste das. Aber hier ging es nicht um Vernunft, und was sie empfand, hatte mit logischem Denken nichts zu tun. »Und deshalb wollt Ihr sterben oder Vergessen erlangen? Weil der Schmerz niemals nachlässt?«
Er starrte einen Moment auf ihre Hand und hob sie dann an seine Lippen.
Aus irgendeinem Grund stieg die Temperatur im Raum schlagartig an, so heftig, dass Arkady halb glaubte, das Feuer hätte sich selbst wieder angefacht und loderte prasselnd hinter Cayal. Das tat es natürlich nicht. Die Hitze, die sie spürte, kam nicht von außen.
»Ich glaube fast«, raunte er gegen ihre Finger, »ich habe Euch endlich überzeugt, dass ich bin, was ich sage.«
»Freut Euch nicht zu früh«, warnte sie und wusste, dass sie ihre Hand wegziehen sollte.
Er schloss die Augen, legte ihre Handfläche an seine Wange und küsste ihr Handgelenk. Ihr Puls hämmerte gegen seine Lippen. Innerlich wand sie sich vor Verlangen, aber sie wagte nicht sich zu rühren.
Weitere Kostenlose Bücher