Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
bekam alles in den falschen Hals.
Doch es blieb keine Zeit, ihm das zu sagen.
Er fiel über uns her, stieß Amaleta in die grausame Klinge und trieb sie viel tiefer hinein, als ich es vorgehabt hatte. Tödlich getroffen schrie sie auf, aber ich glaube nicht, dass Ven das überhaupt merkte, so sehr war er darauf konzentriert, mich zu fassen zu kriegen.
Ich schüttelte ihn ab wie ein Insekt. Amaleta fiel zu Boden. Ohne nachzudenken schleuderte ich Ven mit einer Armbewegung quer durch die Gasse. Sein Schädel krachte so heftig gegen die Steinmauer des gegenüberliegenden Hauses, dass ich von meinem Standort aus hören konnte, wie er zerbarst.
Ich vergaß den jungen Mann sofort, als Jaxyn aus der Taverne gestürmt kam, gefolgt von allen Gästen, die im Schankraum gewesen waren.
Als ich Ven mit der Kraft der Gezeiten zerschmetterte, hatte ihn das aus seiner trunkenen Betäubung aufgeschreckt, während die Sterblichen ihm aus reiner Neugier nachliefen. Er war noch vor mir an Amaletas Seite.
»Bei den Gezeiten!«, rief er aus. »Du hast sie getötet!«
»Dachtest du etwa, ich kann das nicht?«, fragte ich mit einer Gelassenheit, die ich keineswegs empfand. Was ich fühlte, war, wie Amaletas Leben zerrann. Ich hatte vorgehabt, sie in der Nähe des Herzens zu erwischen, aber nicht, es zu durchbohren. Damit hätte ich ausreichend Zeit gehabt, ihre Wunde zu heilen, wenn unsere kleine Scharade erst vorbei war. Ven hatte mich dieser Möglichkeit beraubt. Die Klinge hatte ihr Herz durchstoßen, hatte alles durchstoßen, erst eine Rippe in ihrem Rücken hatte sie aufgehalten.
Wenn ich Amaleta noch retten wollte, musste ich es jetzt sofort tun. Ich konnte nicht warten, bis wir allein waren.
Wenn ich sie rettete, wüsste Jaxyn die Wahrheit.
Sie öffnete den Mund, um zu sprechen, aber nichts kam heraus. Keine wilden Vorwürfe, die Jaxyn überzeugten, dass ich Fliss getötet hatte. Keine Chance, mir zu beweisen, was für eine gute Schauspielerin sie war. Nichts als ein blubberndes Geräusch, das aus ihren blutgefüllten Lungen drang.
Jaxyn beobachtete mich gespannt. Wir besitzen keine nennenswerten telepathischen Fähigkeiten, aber diesmal wusste ich genau, was er dachte. Vom Tod des Mädchens und von meiner Reaktion darauf hing Fliss’ Schicksal ab.
Das Kind meines Herzens^ wenn nicht das Kind meiner Lenden.
Dann schaute ich auf Amaleta hinunter. Ihr Blick war fest auf mich gerichtet, voller Hoffnung. Voller Vertrauen.
Ich tat nichts, um dieses Vertrauen zu rechtfertigen.
Stumm kniete ich auf dem kalten Kopfsteinpflaster einer Gasse in Galgenhafen und ließ Amaleta sterben.
56
Arkady schwieg lange, nachdem Cayal verstummt war. Der Tee war längst kalt, das Feuer beinahe ausgegangen. »Hat Jaxyn Euch nicht befragt, was aus Fliss wurde?«, erkundigte sie sich schließlich.
Er ließ sich Zeit mit der Antwort, so lange, dass Arkady sich schon fragte, ob er sie überhaupt gehört hatte.
Schließlich räusperte er sich leise. »Nachdem er Amaletas dramatisches Hinscheiden mit angesehen hatte und Fliss’ Gegenwart nicht mehr in den Gezeiten spürte, ging er wohl davon aus, dass ich es vollbracht hatte, und wandte sich interessanteren Vergnügungen zu.«
»Und was habt Ihr getan? Seid Ihr Arryl nach Glaeba gefolgt?«
Er schüttelte den Kopf. »Nicht auf direktem Weg. Alle mussten glauben, ich hätte Fliss ohne Bedenken getötet. Das konnte ich nur erreichen, indem ich mein vorheriges Leben wieder aufnahm, den Samenspender für Crasii-Zuchtfarmen spielte und so tat, als würde mich nichts auf der Welt kümmern.«
Arkady starrte ihn fassungslos an, als er all diese zerstörten Leben so beiläufig abtat. »Und später?«, fragte sie. »Wie ging es weiter, nachdem Ihr den Samenspender für die Crasii-Zuchtfarmen gespielt habt und so tatet, als würde Euch nichts auf der Welt kümmern?«
»Ich ging fort«, sagte er und lächelte schief über ihren Tonfall. »Es dauerte allerdings fast ein Jahr, bis ich wegkonnte. Und selbst dann musste ich auf altmodische Art verschwinden.«
»Auf altmodische Art?«
»Ich konnte nicht die Kraft der Gezeiten einsetzen, denn das hätte jemand wahrgenommen und sich gefragt, was ich wohl vorhatte.« Er grinste freudlos. »Seht Ihr die bittere Ironie darin? Wir großen Magier können uns voreinander nur verbergen, indem wir aufhören, große Magier zu sein.«
Die Ironie entging Arkady nicht, aber sie war mehr am Rest der Geschichte interessiert. »Was geschah, als Ihr zum Tempel
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