Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz
–, und sah sie missbilligend an. »Leute, denen ehrliche, harte Arbeit nicht zuwider ist, haben normalerweise nicht das Bedürfnis, Sklavenrassen zu züchten, die für sie arbeiten. Ist dir das auch schon aufgefallen?«
»Da, wo ich herkomme, glaubt man nicht, dass die Gezeitenfürsten die Crasii geschaffen haben. Man nimmt an, die Crasii haben sich auf dieselbe Art entwickelt wie die Menschen.«
»Dann machen sie sich etwas vor«, sagte die alte Frau und seufzte. »Denn die Gezeiten wechseln, und es dauert nicht mehr lange, dann werden deine feinen Akademiker in ihren behüteten Universitäten knallhart zu spüren kriegen, wie falsch sie mit allem hegen.«
Später am Nachmittag stand Maralyce auf, stieß ein zufriedenes Seufzen aus, sammelte die Sachen ein, an denen sie den Tag über gewerkelt hatte – Arkady hatte noch immer keine Vorstellung, was das alles sein mochte – und verließ die Hütte ohne ein Wort. Unvermittelt wieder allein mit Cayal und ihren Ängsten, schluckte Arkady den Kloß in ihrem Hals hinunter und gestand sich ein, dass die Ungeklärtheiten zwischen ihnen sich nicht länger durch Vermeidung umgehen ließen.
Sie wappnete sich und verbannte die ablenkenden Bilder seines schweißglänzenden Körpers, wie er im Sonnenlicht die Axt schwang, aus ihren Gedanken. Jetzt ging es nicht um leichtfertige, dumme Fantasien, ermahnte sie sich. Dies war die Wirklichkeit.
Sie holte tief Luft, wandte sich ihm zu und stellte fest mit leichtem Verdruss, da sie sich den ganzen Tag seinetwegen den Kopf zerbrochen hatte –, dass er nachdenklich aus dem staubigen kleinen Fenster starrte und sie gar nicht wahrnahm.
Seine Gedankenverlorenheit wurmte sie, und sie sprach ihn deutlich schärfer an, als sie vorgehabt hatte. »Cayal?«
»Warum hat Chikita sich die Mühe gemacht, hier raufzukommen und uns zu sagen, dass keine Verfolger in Sicht sind, was glaubt Ihr?«
Wenn er bemerkt hatte – oder sich überhaupt darum scherte –, dass sie gereizt war, so zeigte er es nicht. Trotzdem war seine Abgelenktheit irgendwie auch eine Erleichterung. Die Frage nach der Crasii war das Letzte, was sie erwartet hätte. Vielleicht würde dies doch nicht so aufreibend werden, wie sie befürchtete.
»Vielleicht«, schlug sie vor, »weil … keine Verfolger in Sicht sind?«
Cayal war nicht belustigt. »Wisst Ihr, Maralyce hat schon recht. Die Crasii sind Sklaven unserer Willkür.«
»Was hat das jetzt damit zu tun, dass Chikita uns mitteilt, dass wir nicht verfolgt werden?«
»Ich habe ihr nicht aufgetragen, Bericht zu erstatten, wenn keine Verfolger auftauchen. Nur wenn welche kommen.«
Sie zog eine Braue hoch. »Wollt Ihr damit sagen, dass Ihr Euren Sklaven keinerlei Initiative angezüchtet habt? Wie nachlässig von Euch, Hoheit.«
Ungehalten wandte er sich ihr zu. »Redet nicht in diesem Ton mit mir.«
»In was für einem Ton?«
»In diesem selbstgerechten Ton, den Ihr habt, wenn Ihr glaubt, Ihr hättet Tugend und Moral für Euch gepachtet. Ihr wisst überhaupt nichts von mir, Arkady, nur das, was ich Euch zu offenbaren geruhe.«
Sie verschränkte abwehrend die Arme. »Ihr könnt mir wohl kaum vorwerfen, dass ich glaube, ich habe mehr Tugend und Moral als Ihr. Nach Euren eigenen Worten seid Ihr verantwortlich für den Tod von Millionen Menschen und für die restlose Zerstörung ihrer Zivilisation.«
»Na, ist es nicht ein Glück für Euch«, entgegnete er säuerlich, »dass Ihr so fehlerfrei seid, dass Ihr über mich urteilen könnt?«
»Um über Euch zu urteilen, müsste ich zunächst Eure Lügengeschichten glauben«, gab sie bissig zurück.
Er starrte sie an. »Bei den Gezeiten! Wir fangen doch jetzt nicht wieder mit der ganzen Ihr-könnt-nicht-unsterblich-sein- Prozeduran, oder etwa doch? Ich dachte, wir hätten das längst hinter uns.«
»Vielleicht hatte ich im kalten Tageslicht Gelegenheit, zur Besinnung zu kommen.« Arkady wusste nicht, warum sie das sagte. Sie glaubte ihm. Er wusste, dass sie ihm glaubte. Es war absurd.
Cayal hockte sich auf den Rand der Fensterbank und kreuzte die Arme. »Auf diese Art schützt Ihr Euch, stimmt’s?«
»Was?«
»Na, das!« Er schwenkte einen Arm in ihre Richtung. »Kämpfe oder flieh! Das ist die erste Regel sterblichen Überlebens. Nur dass Ihr verdammt noch mal zu stur seid, um wegzulaufen.«
»Ich habe keine Ahnung, wovon Ihr redet.«
»Ich glaube doch, Arkady. Kommt her.«
»Nein.«
»Warum nicht?«
»Weil diese Hütte höchstens zehn Fuß misst, Cayal, und
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