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Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz

Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz

Titel: Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 1 - Der unsterbliche Prinz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Fallon
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Meinungsverschiedenheiten kam.
    »Wenn du sie willst … musst du dich schon mit mir anlegen!«, erklärte Orin und schüttelte die Faust. Selbst da war mir noch nicht klar, wie ernst es ihm war.
    Oder mir selbst.
    »Ich will sie nicht«, versuchte ich zu erklären, während ich mich irgendwo in den Tiefen meines alkoholgetränkten Hirns zu fragen begann, was ich da angezettelt hatte. »Und sie will dich nicht, also lass sie in Ruhe.«
    »Du wirst mir am Herdfeuer meines Vaters keine Vorschriften machen, was ich haben oder nicht haben kann!«
    »Orin, die Sache ist es nicht wert, darum zu kämpfen …«
    Berühmte letzte Worte, das habe ich im Nachhinein oft gedacht. An die Einzelheiten des folgenden Kampfes kann ich mich nicht erinnern. Ich war betrunken. Zuerst waren es nur die Fäuste, und in Anbetracht der großen Menge Pelze und Leder, die wir beide trugen, richteten sie keinen großen Schaden an.
    Doch dann landete ich einen Volltreffer, meine Faust fuhr wie ein Hammer auf Orins Nase nieder. Ich erinnere mich, wie das Blut aufspritzte, erinnere mich an seinen wuterfüllten Schmerzensschrei, an den Ring der Männer, die um uns herumstanden und uns anfeuerten, und an den flackernden Schein des riesigen Herdfeuers, an den Geruch nach eingefettetem Leder, rauchenden Holzscheiten und schlecht gegerbten Fellen … an solche Einzelheiten eben. Ich erinnere mich an Orins wütenden Kampfschrei, als er mich angriff …
    Aber ich kann mich einfach nicht daran erinnern, wie das Messer in meine Hand gekommen ist.
    Oder wie es kam, dass es plötzlich bis zum Heft in Orins Brust steckte.
    Entsetztes Schweigen legte sich über die Halle, als Orin zu Boden fiel. Es war nicht so, dass an diesem Herd noch nie zuvor Blut vergossen worden wäre. Im Winter, wenn die Männer untätig herumsaßen und zunehmend reizbar wurden, kam das in Dun Cinczi beinahe jeden Abend vor. Aber das geschah nur zum Spaß, kaum jemals waren Waffen im Spiel.
    Bis zu dieser Nacht. Ich hatte die unausgesprochene Grenze überschritten, auch wenn ich mich nicht erinnern kann, wie es dazu kam.
    Thraxis war das auch einerlei. Als Orins Mutter neben ihrem Sohn auf die Knie fiel, laut jammernd vor Verzweiflung, brüllte Thraxis in seinem Schmerz laut auf. Das Nächste, woran ich mich erinnern kann, war, dass ich aus der Halle gezerrt und in den eisigen Lagerraum geworfen wurde, wo sie das Fleisch aufbewahrten – das war in Dun Cinczi der einzige abschließbare Raum.
    Dort blieb ich drei ganze Tage lang und war sicher, dass ich zur Strafe erfrieren würde.
    Die Einsamkeit ist eine interessante Gefährtin, sie ist Feindin und Freundin, Trösterin und Quälerin zugleich. Im Fleischlagerraum von Dun Cinczi habe ich viel Zeit damit verbracht, zu erörtern, was sie denn nun genau war. Als ich der Einsamkeit schließlich müde war, hatte ich zum Glück noch meine Schuldgefühle, um mir Gesellschaft zu leisten. Lasst mich Euch sagen, die Schuld ist eine noch interessantere Gefährtin als die Einsamkeit. Einsamkeit ist eine harte, aber grundsätzlich gutwillige Gefährtin. Die Schuld dagegen ist wie ein lebendes, atmendes Wesen, grausam und absolut gnadenlos. Sie zerfrisst dich von innen und vernichtet auch die kleinste Hoffnung, die dir noch geblieben ist. Sie nährt sich von dir und wird mit jeder aufs Neue durchlebten Erinnerung, jeder nutzlosen Selbstanklage stärker.
    Meine Schuld war mit Händen zu greifen und mit unendlichem Kummer getränkt. Orin war mein Freund, und ich hatte ihn erstochen, wegen irgendeiner Frau. Was hatte ich mir bloß dabei gedacht? Ich kannte sie doch gar nicht. Sie bedeutete mir nichts. Und trotzdem war Orin nun tot, nur weil ich eine Wildfremde verteidigt hatte. Meine Dummheit war geradezu atemberaubend, meine Schuld überwältigend, meine Zukunft ungewiss: Jeder Tag, den ich in diesem eisigen Lagerraum verbrachte, führte mich meinem Tod entgegen – denn dass ich sterben würde, davon war ich überzeugt, entweder von Thraxis’ Hand oder durch Unterkühlung. Nach Tagen in meiner eisigen Zelle wäre Ersteres mir lieber gewesen.
    Aber es wäre zu einfach gewesen, damals zu sterben. Obwohl ich das erst viel später erkennen sollte, hatten die Gezeiten mir ein weit grausameres Los zugedacht. Die ultimative Ironie dabei ist natürlich, dass ich das mir zugedachte Schicksal mit offenen Armen willkommen hieß, zu töricht, um die Gefahr zu erkennen.
    Also fror ich und stapfte in dem engen Zwischenraum zwischen den hängenden Schweinehälften

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