Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 2 - Die Goetter von Amyrantha
illusorisch. Es gab gar keine Slums. Die riesigen Sklavenmärkte nahmen den größten Teil des Stadtrands ein. Wenn es irgendwo in Elvere Slumbewohner gab, waren sie zumindest für Arkady Desean nicht zu sehen.
Was den Standort des Hund und Knochen betraf, so hätte der Gasthof genauso gut in der Wüste bei der Abtei liegen können. Dort wäre Arkadys Chance, ihn zu finden, größer gewesen.
Sie wurde einem Sklavenhändler übergeben, der genug Vermögen besaß, dass ihm ein großes eingezäuntes Gelände am westlichen Rand der Stadt gehörte. Die Kameltreiber hielten sich strikt an Bryndens Anweisungen. Auf dem Weg von der Abtei nahmen sie so gut wie keine Notiz von ihr, und als sie sie dem Sklavenhändler übergaben, wirkten sie froh, sie los zu sein. Als Bezahlung für ihre Dienste nahmen sie Terailia mit sich.
Unter ihrem Schleier bebte Arkady vor Anspannung. Ihr Magen verkrampfte sich vor Angst, was die Zukunft bringen mochte. Man führte sie durch eine Reihe von Gängen mit Gittern an den Seiten, die an jedem Ende verriegelte Türen hatten. Sie wurde von einem großen einschüchternden Mann mit nacktem Oberkörper begleitet, der knapp unterhalb seines Brustbeins ein torlenisches Sklavenzeichen trug: zwei miteinander verbundene Kettenglieder, die in sein Fleisch gebrannt waren. Der Mann sprach kein Wort. Er knurrte sie nur an, wenn sie zu einem Kreuzungspunkt in dem Gängelabyrinth kamen, und deutete in die Richtung, in die sie gehen sollte.
Schließlich kamen sie zu einem Raum mit einer Holztür anstelle einer verriegelten Gitterpforte. Ihr Begleiter klopfte zweimal, öffnete die Tür, ohne eine Antwort abzuwarten, schubste sie hinein und schloss die Tür hinter ihr.
Arkady stolperte vorwärts und sah sich um. Das von Kerzen beleuchtete Zimmer war mit schönen importierten Teppichen komfortabel ausgestattet, und der polierte Rosenholzschreibtisch in der einen Ecke sah von seiner Form und handwerklichen Verarbeitung her verdächtig glaebisch aus.
Am Schreibtisch saß ein dünner, gut gekleideter Mann und schrieb etwas in ein Kontenbuch. Als er hörte, wie die Tür geschlossen wurde, sah er nur kurz auf. Er hatte ein sorgenvoll verkniffenes Gesicht und wirkte, als habe ihr Eintreffen ihn verärgert.
»Nimm das ab«, sagte er.
Arkady vermutete, dass er den Schleier meinte. Sie zog ihn über den Kopf und warf ihn neben sich auf den Boden, froh, ihn los zu sein.
Der Sklavenhändler sah wieder auf und musterte sie eine Weile. Dann erhob er sich, trat näher an sie heran und betrachtete sie kurzsichtig. »Du bist fremd hier. Caelisch, oder?«
Ohne einen besonderen Grund, den sie hätte benennen können, nickte Arkady. »Ja. Ich bin Caelanerin.«
Er musterte sie wieder eine Zeit lang, ging einmal um sie herum und betrachtete sie aus jedem Winkel. Dann blieb er vor ihr stehen und rieb sich das Kinn. »Zieh dich aus.«
»Verzeihung?«
Der Sklavenhändler gab ihr mit dem Handrücken eine kräftige Ohrfeige. »Zieh dich aus.«
Arkady war nicht so dumm, ein zweites Mal nachzufragen. Die Wange tat ihr weh. Sie Heß ihr Gewand von den Schultern zu Boden gleiten. Wieder ging der Sklavenhändler im Kreis um sie herum und machte ein nachdenkliches Gesicht, bevor er erneut vor ihr stehen blieb und sie mit einem spitzen Fingernagel in den Bauch stieß. »Hattest du ein Baby?«
»Nein.«
»Noch Jungfrau?«
»Nein.«
Er runzelte die Stirn. »Wie alt?«
»Vierundzwanzig«, log sie.
Er schüttelte den Kopf. »Ein Jammer.«
»Ein Jammer?« Selbst Arkadys dürftiges Torlenisch war gut genug, um dieses Wort zu kennen.
Der Sklavenhändler zuckte mit den Schultern. »Das große Geld macht man heutzutage mit Jungfrauen. Jungen Jungfrauen. Du bist zwar hinlänglich hübsch, Weib, aber zu alt. Und zudem gebrauchte Ware. Hast du einen Namen?«
»Ah ... Kady.«
»Ich stecke dich in die senestrische Partie«, sagte er und kehrte zu seinem Hauptbuch zurück. »Die sind nicht so wählerisch wie die torlenischen Käufer.«
»Ich habe hier in der Stadt eine Freundin«, sagte sie schnell und hoffte, ihr Torlenisch war gut genug, um den Sklavenhändler zu überzeugen, dass sie es wert war, angehört zu werden. »Wenn ich ihr eine Nachricht zukommen lassen kann, bezahlt sie Euch jeden Preis, den Ihr für mich verlangt.«
Der Mann lächelte. »Alle haben jemanden.«
Arkady war sich nicht sicher, ob sie verstanden hatte, was er meinte. »Wie bitte?«
»Jeder dritte Sklave, der durch diese Tür kommt, meint, dass irgendwer
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