Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 2 - Die Goetter von Amyrantha
letztes Mal die Falten glatt. »Oh, wenn Ihr das mal vergesst, Euer Gnaden«, versicherte sie, »wird Euch ganz schnell jemand daran erinnern. So viel kann ich Euch versprechen.«
Lady Chintara hatte eine Kutsche geschickt, um Arkady abzuholen. Es war ein leichter vierrädriger Zweispänner, aufwändig und kunstvoll lackiert und von zwei perfekt dazu passenden Grauschimmeln gezogen. Die Front der Kabine war mit feinen Löchern perforiert, um Luft hereinzulassen und den Insassen etwas Ausblick zu gewähren. Sie erfüllte jedoch beide Zwecke nicht sonderlich befriedigend, und der Schleier machte es noch schlimmer. Es war noch früh am Tage, aber von Kopf bis Fuß in einen Umhang gehüllt und dann in einen geschlossenen Kasten gesperrt zu werden war die Hölle. Arkady fühlte sich einer Ohnmacht nahe, als die Kutsche endlich vor dem Entree des kaiserlichen Serails hielt.
Der Verschlag öffnete sich, und eine heilsame Brise kühlerer Luft drang herein. Während noch für Arkadys sicheren Ausstieg ein Treppchen aufgebaut wurde, hatte sich der männliche Kutscher bereits hastig aus dem geschlossenen Vorhof entfernt, sodass ausschließlich weibliches Palastpersonal zugegen war, um die Gattin des glaebischen Gesandten in Empfang zu nehmen. Sehr zu ihrer Freude war keine der Frauen verschleiert, und kaum dass der Zweispänner davongerollt war, umringten sie Arkady und befreiten sie geschickt von ihrem Schleier. Gleich darauf erschien eine große, dünne Frau mit ergrautem Haar, schritt auf sie zu und vollführte einen graziösen Knicks.
»Willkommen, Euer Gnaden«, sagte sie in nahezu akzentfreiem Glaebisch. »Wenn Ihr mir bitte folgen wollt? Lady Chintara erwartet Euch.«
Arkady neigte ihr Haupt und folgte der älteren Frau in das Serail des Kaiserpalasts. Mit unverhüllter Neugier sah sie sich um und betrachtete alles gründlich. Obwohl ähnlich in Grundriss und Dekor, war das kaiserliche Serail viel größer und deutlich leerer als Arkadys Quartier im Palast der Gesandtschaft, und als Resultat wirkte es erheblich stiller. Zur Belegschaft gehörten hier - zu Arkadys Überraschung - vereinzelt männliche Diener.
»Hier gibt es ja Männer«, entfuhr es ihr, als sie einen Raum durchquerten, wo ein großer und recht gut aussehender junger Mann einer Gruppe von Frauen, die rings um ihn auf dem Boden saßen, einen Vortrag hielt. Arkady konnte nur raten, worum es ging, da Torlenisch gesprochen wurde.
»Die Männer werden geblendet, bevor sie im Serail dienen dürfen«, erläuterte die Frau, als wäre das eine ganz alltägliche Begebenheit. »Und kastriert.«
»Ein Mann muss ein blinder Eunuch sein um hier zu arbeiten?« Arkady schmunzelte. »Ich schätze, es gibt nicht allzu viele Freiwillige.«
Ihre Begleiterin wirkte keine Spur belustigt. »Ganz im Gegenteil, Euer Gnaden. Im kaiserlichen Serail zu dienen ist eine unvergleichliche Ehre. Wir erwählen nur die würdigsten Bewerber.«
»Vergib mir«, sagte Arkady und wünschte, sie hätte ihre Meinung für sich behalten. Du bist mir ja eine schöne Diplomatin, Arkady. »Es war nicht meine Absicht, dich zu beleidigen.«
»Ich bin nur eine Sklavin, Euer Gnaden. Es ist nicht möglich, mich zu beleidigen.«
Arkady war zwar überzeugt, dass das nicht stimmte, aber sie ließ es auf sich beruhen, um lieber den Sklavenstatus der Frau zu hinterfragen. Menschliche Sklaverei kam in Glaeba so gut wie gar nicht vor. »Gibt es in Torlenien viele menschliche Sklaven?«
»Eine ganze Menge«, antwortete die Frau und bedachte Arkady mit einem neugierigen Blick. »Warum?«
»In Glaeba dürfen nur Crasii versklavt werden. Wir schätzen den Wert menschlichen Lebens höher ein als den von Tieren und glauben, dass Freiheit ein allen Menschen angeborenes Recht ist.«
Die torlenische Frau runzelte im Weitergehen die Stirn. »Das tun wir ebenfalls, Euer Gnaden, allerdings haben wir auch keine Elendsviertel, wo sich Habenichtse und Obdachlose aus Verzweiflung zusammenrotten, während sie auf den Straßen unserer reichsten Städte verhungern.«
Die Feindseligkeit der Frau verblüffte Arkady, und das umso mehr, da sie eine Sklavin war. »Wie meinst du das?«, fragte sie. »Ist die Sklaverei hier vielleicht eure Variante von Wohlfahrtsstaat?«
»Nur die Armen, die Entrechteten, die, die eine Schuld nicht begleichen können oder der Gesellschaft etwas schuldig sind, werden zu Sklaven, Euer Gnaden«, sagte die Frau, als sie das Ende einer langen gefliesten Halle erreicht hatten und einen neuen
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