Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 2 - Die Goetter von Amyrantha
allein, und Chintara machte nicht den Eindruck, als erwartete sie noch jemanden.
»Danke sehr«, sagte Arkady und setzte sich Chintara gegenüber auf eine gepolsterte Speiseliege mit Lehne. »Ich muss zugeben, ich war heute Morgen zu beschäftigt, um etwas zu essen.«
»Zu beschäftigt oder zu nervös?«, fragte die kaiserliche Gemahlin und lächelte, als sie Arkadys Miene sah. »Das ist schon in Ordnung, Euer Gnaden, ich kenne meinen Ruf. Zweifellos haben Eure Diener Euch überzeugt, dass ich kleine Babys zum Frühstück verspeise.«
Arkady wagte einen hohen Einsatz und erwiderte lächelnd mit einem Blick auf den gedeckten Tisch: »Damit liegen sie offenbar falsch, Euer Hoheit - oder ist dies nur der erste Gang?«
Chintara lachte. »Gezeiten sei Dank, endlich eine Glaebanerin mit Sinn für Humor. Ich bin beglückt, dass Ihr nach Ramahn gekommen seid, meine Gute. Eure Vorgängerin war ein säuerliches altes Weib.«
»Auch davon habe ich gehört«, bestätigte Arkady mit gewisser Vorsicht. Diese entwaffnend freundliche junge Frau war das Letzte, was sie erwartet hatte. Nach all den Reden, die sie vor ihrem Besuch darüber gehört hatte, was für ein Ungeheuer die kaiserliche Gemahlin sei, machte sie sich allmählich Sorgen, ob sie vielleicht falsch abgebogen war, im falschen Palast saß und eine falsche kaiserliche Gemahlin besuchte.
»Guckt nicht so wachsam, Arkady«, sagte Chintara und griff nach einem kristallenen Weinkrug, der durch die Kühlung mit schimmernden Perlen aus Kondenswasser bedeckt war. »Ich darf Euch doch Arkady nennen?«
»Natürlich.«
»Ihr dürft mich Chintara nennen.«
»Ich bin geehrt, Euer Hoheit.«
»Weil ich Euch erlaube, mich beim Vornamen zu nennen? Oh, Ihr müsst nach Unterhaltung hungern, oder?«
Arkady beugte sich vor, um den Wein entgegenzunehmen, den Chintara eigenhändig einschenkte, und lächelte. »Ich gebe zu, nachdem ich in Glaeba die Freiheit hatte, zu tun, was immer mir beliebt, empfinde ich die torlenischen Regeln in Bezug auf Frauen als ziemlich ... einengend.«
»Aber Ihr habt eben gesagt, dass Ihr Historikerin seid, weil man Euch nicht Ärztin werden ließ. Also wart Ihr in Wirklichkeit doch nicht frei, zu tun, was Euch beliebte.«
Arkady runzelte die Stirn. »Das stimmt wohl. Aber ich konnte unbewacht auf die Straße gehen.«
»Es gibt Frauen, die diese Aussicht eher Furcht einflößend finden.«
»Nicht in Glaeba«, konterte Arkady. Dann lächelte sie rasch und hoffte, keine Grenze überschritten zu haben. »Verzeiht mir. Es ist ungezogen von mir, die hiesigen religiösen Praktiken in Frage zu stellen.«
»Religiöse Praktiken?«, spottete Chintara. »Das torlenische Gesetz, das Frauen verbietet, ihr Gesicht in der Öffentlichkeit zu zeigen, hat nichts mit Religion zu tun, Arkady. Es hat etwas mit Männern zu tun, die eifersüchtig und besitzergreifend sind.«
»Aber ich dachte ...«
Chintara lächelte und lehnte sich auf ihrer Liege zurück. »Ich denke, wir sollten uns gegenseitig belehren, Ihr und ich. Ich unterrichte Euch in den idiotischsten Gebräuchen Torleniens, und Ihr erzählt mir von denen Glaebas.«
»Ich wäre hocherfreut, mehr über die torlenische Geschichte zu lernen«, stimmte Arkady zu, obwohl sie nicht sicher war, was sie unter der Überschrift »Glaebas idiotischste Gebräuche« zusammenfassen sollte. Bevor sie sich bremsen konnte, fügte sie hinzu: »Vor allem über die hier existierenden Mythen und Legenden der Gezeitenfürsten.«
Chintara blickte jetzt neugierig. »Warum wollt Ihr etwas über die Gezeitenfürsten wissen?«
»Ich habe mich in letzter Zeit viel mit ihnen befasst.«
»Und was habt Ihr herausbekommen?«
Arkady zog die Brauen zusammen. »Ich bin nicht sicher, was Ihr damit meint.«
»Ich bin nur neugierig«, sagte Chintara. »Habt Ihr etwas Interessantes in Erfahrung gebracht? Kommt die kosmische Flut zurück? Wisst Ihr, wo sie sind?«
»Ihr glaubt an die Gezeitenfürsten?«, fragte Arkady und haderte im Stillen mit sich, weil sie so weit nicht vorausgedacht hatte. Die Torlener waren ihren Gezeitenfürsten bekanntlich sehr ergeben.
»Natürlich tue ich das. Ihr nicht?«
Arkady zögerte, bevor sie antwortete. »Allmählich glaube ich, die Annahme, dass sie existieren, könnte sich als fruchtbar erweisen.«
Ihre Antwort ließ Chintara laut auflachen. »Dann haben wir unseren Arbeitsbereich jetzt abgesteckt. Ich werde Euch eindeutig davon überzeugen müssen, dass die Gezeitenfürsten real sind.«
Arkady
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