Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 3 - Der Palast der verlorenen Traeume
aber er war schlagfertig. »Tut mir leid, alter Junge, aber daraus wird nichts, wenn du keinen Schnurrbart hattest, als du verwandelt wurdest. Deine Haartracht an dem Tag, als du unsterblich wurdest, wird so ziemlich die sein, mit der du es bis zum Ende aller Tage wirst aushalten müssen.«
»Was für ein Glück, dass ich nicht mit einem schlechten Haarschnitt unsterblich wurde«, sagte Hawkes mit einem schwachen Lächeln. »Das erklärt auch, warum ich mich seit Monaten nicht zu rasieren brauchte. Woran mag das liegen, was denkst du?«
»Ich habe keine Ahnung.«
»Aber du musst dich das doch schon mal gefragt haben, oder?«
»Gefragt schon«, sagte Cayal. »Aber macht es mir Kopfzerbrechen? Nein.«
Hawkes verfiel eine Zeitlang in Schweigen und starrte auf das dunkle Wasser des Flussarms. Nach einer Weile wandte er sich wieder Cayal zu. »Denkst du, sie sind jetzt weg?«
Er nickte. »Da bin ich sicher. Ich habe den Amphiden befohlen, erst anzuhalten, wenn sie die Delta-Siedlung erreicht haben. Kein Sterblicher kann diesen Befehl vorher aufheben.« Er wandte sich vom Wasser ab und betrachtete das verdunkelte Dorf. »Wir sollten wohl besser wieder zu den anderen gehen.«
Declan nickte zustimmend und ging neben Cayal her, als sie sich zur Ortschaft aufmachten. »Und wenn sie zurückkommen? Was dann?«
»Dann liefern wir ihnen etwas, was sie länger beschäftigen wird als die Frage, wie sie die Einwohner der Feuchtgebiete ermorden können.«
»Aber kannst du das denn auch?« Hawkes sah nicht überzeugt aus. »Wie du schon gesagt hast, stehen die Gezeiten noch nicht sehr hoch, und Pardura sah mir nicht aus wie ein Mann, der so leicht aufgibt. Wenn er mit einer Streitmacht zurückkommt …«
»Dann ist es umso besser«, sagte Cayal.
»Das verstehe ich nicht.«
»Das liegt daran, das du nicht nur ein beschränkter, voreingenommener Hurensohn bist, sondern offenbar obendrein ziemlich dumm.«
Hawkes blieb stehen. Cayal ging noch ein paar Schritte weiter, bis er merkte, dass Hawkes sich nicht mehr neben ihm hielt. Er drehte sich um, um zu sehen, wo er blieb.
Der Erste Spion stand da und starrte ihn finster an.
»Was?«
»Bist du jetzt mal fertig?«
Cayal lächelte. »Ach herrje, mein Lieber. Ich habe deine kostbaren Gefühle verletzt, was?«
»Du gehst mir allmählich auf die Nerven, Cayal.«
»Und was willst du dagegen unternehmen, Ratz?«, fragte Cayal. Er provozierte Hawkes nun schon seit Tagen, und dies war das erste Mal, dass er ihm tatsächlich eine Reaktion entlockt hatte. »Willst du mich melden? Oder vielleicht zum Duell fordern? Auf Leben und Tod?«
»Nein«, sagte Hawkes. »Ich reise ab.«
»Jetzt zittere ich aber wirklich wie Espenlaub.«
Hawkes zuckte die Achseln. »Es interessiert mich nicht, ob du zitterst oder nicht. Tatsache ist, dass du mich wesentlich mehr brauchst als ich dich, Cayal.«
»Ich dich brauchen?« Die Vorstellung brachte ihn zum Lachen. »Gezeiten, Hawkes, ich kann die ganzen Feuchtgebiete in Schutt und Asche legen, ohne dabei auch nur ins Schwitzen zu kommen. Du bildest dir ein, ich brauchte ausgerechnet deine Hilfe, um Ambria und Medwen zurückzubekommen? Du weißt ja noch nicht mal, wo in den Gezeiten oben und unten ist.« Er drehte sich um und ging weiter die Straße entlang.
»Du bist hier der Unsterbliche, der sterben will, Cayal«, sagte Declan hinter ihm.
Cayal blieb stehen und drehte sich langsam in seine Richtung, um ihn anzusehen.
»Du bist der eifrige Selbstmörder, der alle irgend verfügbare Gezeitenfürstenmacht braucht, um es zu Ende zu bringen«, erklärte Hawkes mit der ruhigen Gewissheit eines Mannes, der sich seiner Sache absolut sicher ist. »Ich weiß ja nicht einmal, ob das ganze Gerede, dass Lukys mein Vater sei, überhaupt stimmt. Was ich jedoch weiß, ist, dass du meine Hilfe um einiges dringender brauchst als ich deine.«
»Du brauchst meine Hilfe, um Lukys zu finden.«
Der Erste Spion schüttelte den Kopf. »Ich bin unsterblich, Cayal. Ich kann mir alle Zeit der Welt lassen und ihn auf eigene Faust suchen gehen.«
Cayal starrte den Ersten Spion an. Er hätte sich treten mögen. Wie hatte er leichtfertig außer Acht lassen können, dass Hawkes' unheimliche Schlagfertigkeit geradezu zwangsläufig auf eine überdurchschnittliche Intelligenz hindeutete? Was für ein idiotischer Fehler. Dabei wusste er eigentlich, dass das eine meist mit dem anderen einherging. Es war so naiv, einen Mann wie diesen zu unterschätzen.
Gezeiten, dieser Kerl lebt
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