Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 3 - Der Palast der verlorenen Traeume
Wegstrecke.
Zumindest bis die arme Sau begreift, dass diese Reise niemals endet, dachte er im Stillen. Die unendliche Wanderschaft verlor erheblich an Reiz, wenn man zu verstehen begann, was Ewigkeit wirklich bedeutete.
Doch noch steckte dieser neue Unsterbliche in der glücklichen Phase des großen Entdeckens, die alle Unsterblichen durchlaufen, ob sie wollen oder nicht.
Declan Hawkes wusste zwar, dass er unsterblich war, aber er verstand es noch nicht.
Was wieder einmal die Frage aufwarf, wie Hawkes überhaupt existieren konnte.
Cayal wusste noch nicht so recht, was er davon halten sollte. Sein Instinkt sagte ihm, dass Hawkes ein gefährlicher Gegenspieler zu werden drohte. Zugleich wusste er, dass Lukys so viele Kräfte bündeln musste, wie er nur aufbringen konnte, um Cayals Leben zu beenden. Und einen neuen Gezeitenfürsten zu haben, mächtig und noch nicht in die bestehende Politik der Unsterblichen verstrickt, das war weit mehr als nur ein Glücksfall. Wobei Cayal ohnehin davon ausging, dass es mit Glück wenig zu tun hatte. Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser neue Unsterbliche als Ergebnis eines dummen Zufalls existierte, war so gering, dass man es schon als undenkbar bezeichnen konnte. Wesentlich einleuchtender war eine andere Erklärung: Lukys hatte bestimmt erfahren, dass Maralyce ein Kind geboren hatte. Es schien plausibel, dass er wartete, bis ihr Sohn selbst eine Tochter gezeugt hatte, die er seinerseits schwängern konnte. Das war jedenfalls wesentlich glaubhafter als die Annahme, dass irgendein Unsterblicher rein zufällig ein bestimmtes Bordell in Lebec aufgesucht hatte.
Was jedoch wirklich Zufall sein musste, überlegte Cayal, war der Umstand, dass Hawkes in ein Feuer geriet, das ihn mit Sicherheit das Leben gekostet hätte, wäre er nicht zu mehr als der Hälfte ein Unsterblicher gewesen.
Cayal wusste, dass Lukys nach Glaeba gereist war, um seinen Sohn aufzusuchen. Jetzt fragte er sich, ob er darum so schnell zurückgekehrt war. Vielleicht war sein Sohn nicht mehr da, als er eintraf? Hatte Lukys von Declan Hawkes’ Tod erfahren und sein Experiment als Fehlschlag abgehakt?
Und war er deswegen nach Jelidien gereist und hatte Kentravyon zu neuem Leben erweckt? Weil er für seine Pläne einen mächtigen Gezeitenfürsten benötigte und annehmen musste, der neue und viel Formbarere (von zurechnungsfähig ganz zu schweigen), den er zu erschaffen versucht hatte, sei für ihn verloren?
Es würde jedenfalls spannend sein, befand Cayal, Lukys’ Gesicht zu sehen, wenn er mit Hawkes nach Jelidien zurückkam, frisch und munter, quicklebendig – und unsterblich.
Das warf natürlich eine weitere Frage auf, die zu stellen Cayal bislang tunlichst vermieden hatte. Wenn Lukys wirklich hinter alldem steckte, was hatte er dann in Wahrheit vor? Denn Cayal glaubte nicht einen Herzschlag lang, dass Lukys all diese Mühen auf sich nahm, um ihm selbstlos beim Sterben zu helfen.
Einst hatte Lukys ihm anvertraut, er wolle Gott werden. Mit einem Mal schien das gar nicht mehr so weit hergeholt. Nicht, wenn er nach Belieben neue Unsterbliche erschuf.
»Was, wenn sie mit einer Streitmacht zurückkommen?«
Cayal schob seine höchst beunruhigenden Erwägungen vorerst beiseite, um Hawkes’ Frage zu beantworten. »Dann müssen wir ihnen die unvergessliche Lektion erteilen, wie fatal es sich auswirken kann, einen Gezeitenfürsten zu erbosen.«
Hawkes erlaubte sich ein seltenes kleines Lächeln. So ganz allmählich erlag er doch der verführerischen Versuchung der Macht, über die er jetzt verfügen konnte. »Und wie stellen wir das an? Ersticken wir jeden Mann, den sie auf uns hetzen?«
Cayal schüttelte den Kopf. »Die Gezeiten stehen noch nicht hoch genug für Maßnahmen dieser Größenordnung. Im Übrigen darf man die Luft immer nur aus einem äußerst begrenzten Sektor abziehen, sonst wird nämlich das Wetter nachhaltig beeinflusst, und das ist noch nie besonders gut ausgegangen.«
»Ich bin überrascht, dass dich so etwas überhaupt kümmert.«
»Weil du ein beschränkter, voreingenommener Hurensohn bist«, erwiderte Cayal freundlich, »der alle Unsterblichen für zutiefst böse hält. Übrigens, wie kommst du eigentlich damit zurecht? Du weißt schon … zutiefst böse zu sein.«
»Ich dachte, ich lass mir einen Schnurrbart wachsen und leg mir eine Augenklappe zu«, parierte Hawkes prompt. »Damit ich glaubwürdig aussehe.«
Cayal lächelte. Hawkes mochte ein beschränkter, voreingenommener Hurensohn sein,
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