Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 3 - Der Palast der verlorenen Traeume
Sinne?«
»Weit gefehlt.«
»Was gibt es sonst noch?«
»Was ist mit deinem Sinn für den Ort, an dem du bist?«
Declan sah sich auf der Lichtung um, auf die der unsterbliche Prinz ihn geführt hatte, um ihre Lektionen fortzusetzen, und fixierte dann Cayal. »Ich glaube kaum, dass es als Sinn zählt, zu wissen, dass ich auf einer Lichtung stehe, die etwa eine halbe Stunde Fußmarsch von irgendeinem kleinen Dorf in den Feuchtgebieten von Senestra entfernt Hegt.«
»Versuchst du dich jetzt extra dumm zu stellen, oder bist du wirklich so blöd?«
»Ich muss wohl so blöd sein«, sagte Declan. »Ich habe keine Ahnung, was du meinst.«
Cayal musterte ihn kurz schweigend, während die Gezeiten ihn leise umspülten. Vielleicht erwog er, wie er weiter vorgehen sollte. Als er wieder sprach, war es in wesentlich freundlicherem Ton, was Declan klarmachte, wie viel mehr Cayal ihn brauchte als er Cayal.
»Ich spreche von Propriozeption – dein Bewusstsein darüber, wo du dich befindest im Verhältnis zu allem anderen um dich herum. Die meisten Leute verschwenden darauf keinen Gedanken, doch es gibt einen Grund dafür, dass du betrunken in Gegenstände reinrennst, an denen du nüchtern einfach vorbeilaufen würdest.«
Declan durchdachte das kurz und nickte dann. »Na gut, das leuchtet mir ein.«
»Das sollte es auch«, warnte Cayal. »Für einen Gezeitenfürsten ist es viel wichtiger, ein Bewusstsein für sich selbst im Verhältnis zu seiner Umgebung zu haben, wenn er die Gezeiten lenkt, als für irgendeinen armen Penner, der sich jede Nacht in der Dorfkneipe zudröhnt, bevor er nach Hause wankt.«
»Es gibt noch mehr, nehme ich an?«
»Equilibriozeption: der Gleichgewichtssinn.«
»Ist das nicht dasselbe wie Propriozeption?«
»Ganz und gar nicht«, sagte Cayal. »Bei der Propriozeption geht es um deine Umgebung. Sie bezieht sich auf das Außen. Equilibriozeption hingegen ist innerlich. Sie ist es, was dich aufrecht hält. Und wie die Propriozeption wird sie von Alkohol – neben anderen Substanzen – sehr leicht beeinträchtigt, was der Grund dafür ist, warum ein Betrunkener ebenso leicht stolpert, wie er gegen Dinge läuft.«
Gegen seinen Willen war Declan von Cayals Vortrag beeindruckt. Und überrascht von der Tiefe seines Wissens. Man vergaß so leicht, dass dieser Mann schon achttausend Jahre am Leben war. Und er hatte sie offensichtlich nicht nur damit verbracht, herumzuhuren, anderen Männern die Frau auszuspannen oder verhängnisvolle Naturkatastrophen auszulösen.
»Welches sind die anderen Sinne?«
»Nocizeption.« Cayal klang etwas entgegenkommender, da Declan jetzt merklich bei der Sache war. »Die Fähigkeit, Schmerz zu verspüren.«
»Das habe ich mir nie als einen Sinn vorgestellt.«
»Das ist eigentlich ein erstaunlich nützlicher Sinn. Besonders wenn du versuchst, jemanden dazu zu bringen, etwas in deinem Interesse zu tun.«
»Du meinst, du kannst jemanden foltern, indem du mit den Gezeiten seine Nocizeption manipulierst?«
Cayal lächelte. »Du bleibst dir auch in der Unsterblichkeit treu, oder?«
»Soll heißen?«
»Du hast gerade herausbekommen, dass du mit den Gezeiten die Sinne eines anderen manipulieren kannst. Ich finde es faszinierend, dass du erst bei dem Sinn, der es dir ermöglicht, jemanden zu foltern, zu dieser Schlussfolgerung gelangt bist. Ich wette, du warst wirklich der größte kleine Erste Spion aller Zeiten, stimmt’s?«
Declan war zu fasziniert von den Möglichkeiten seines neuen Wissens, um sich viel aus Cayals Stichelei zu machen. »Ich weiß, was Schmerz mit Menschen macht«, sagt er. »Und wie sinnlos das ist. Ein Mann würde alles behaupten, um nur dem Schmerz zu entgehen.«
»Nicht, wenn er glaubt, dass die Konsequenzen, von dir beim Lügen ertappt zu werden, schlimmer sind als das, was du ihm schon antust«, sagte Cayal. »Erst musst du Besitz von ihm ergreifen, ihn vollständig brechen, ehe du dich auf das verlassen kannst, was dir ein Mensch unter der Folter erzählt.«
Neugierig musterte Declan Cayal. »Du sagst das, als hättest du die Kenntnis aus erster Hand.«
Cayal lächelte. »Ich habe die vielen Jahre als heiliger Krieger nicht verschwendet, weißt du.«
»Also, wie kann man die Sinne eines Menschen mittels der Gezeiten beeinflussen?« Declan war gar nicht sicher, ob er so genau wissen wollte, wie viele Leute Cayal in den letzten paar tausend Jahren gefoltert hatte. Nicht, dass er da zimperlich war. Aber je mehr Zeit er mit dem unsterblichen
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