Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 3 - Der Palast der verlorenen Traeume
Offenbar fiel ihm die undankbare Aufgabe zu, den Ersten Spion von Caelum über die wahre Identität von Lord Torfail und seiner Familie aufzuklären. »Wir haben viel zu bereden, Master Li.«
»So scheint es«, bestätigte Li scharf und starrte sie beide ein wenig ratlos an. Dann schüttelte er den Kopf und wandte sich der Kutsche zu, die er bereitgestellt hatte, um Nyah nach Hause zu bringen.
22
»Das war schon der Dritte diese Woche.«
Arkady sah flüchtig von der schmalen Pritsche auf, die sie gerade mit Seifenlauge und heißem Wasser abwusch. Der sie belegt hatte, war vor wenigen Stunden gestorben. Sie desinfizierte das Bett für den nächsten Patienten. »Ist die Familie schon da, um den Leichnam zu holen?«
Geriko zuckte die Achseln, seinen Blick wie immer zielsicher auf ihre entblößten Brüste gerichtet. Eines Tages wird er mir direkt in die Augen sehen, und ich werde vor Schreck auf der Stelle tot umfallen, dachte sie.
»War auch egal. Der Doktor hat befohlen, alle zu verbrennen. Und sonst … wen schert schon ’n toter Canide?«
Traurigerweise hatte Geriko recht. Der Canide, der vorhin gestorben war, stellte für niemanden mehr einen Wert dar. Der Mann, dem er gehörte, wollte ganz sicher keinen toten Sklaven zurückhaben, um ihm eine anständige Beerdigung zu gönnen. Deshalb hatte er seinen Sklaven ja hergebracht, zu der Klinik im Armenviertel, statt gutes Geld für einen Arzt auszugeben, der in seinen Zwinger kam.
»Naja, hoffentlich war das der Letzte.«
Geriko schüttelte den Kopf. »Es geht erst los, Kady. Wenns das Sumpffieber ist, wie der Doktor glaubt, haben wir den gröbsten Salat noch vor uns.«
Es war leider mehr als wahrscheinlich, dass es sich um das Fieber handelte, von dem Geriko sprach. Der Mann, dem der tote Canide gehörte, war Juwelier. Er war kürzlich im Norden in den Feuchtgebieten auf Handelsreise gewesen, um sich mit Perlmutt zu versorgen, und sein Sklave war einen Tag nach seiner Rückkehr krank geworden.
»Hast du schon mal mit Sumpffieber zu tun gehabt?«
Geriko nickte und hob eine Ecke der Matratze an, damit Arkady besser an die Unterseite kam. Sie wrang erneut den Lappen aus und putzte weiter, während sie sprach. Die Kliniksklaven arbeiteten im Schnitt vom ersten Morgengrauen bis zum Einbruch der Dunkelheit. Wenn sie heute noch etwas essen oder ihr Bett sehen wollte, musste sie mit der Arbeit fertig sein, ehe Cydne wiederkam. Er war zum Besitzer des Caniden gegangen, um ihn von dessen Ableben zu unterrichten.
»Hatte das Fieber selber, als ich ’n Jungspund war«, sagte er. »Hätte mich fast umgebracht. Jetzt fällt mir ein, über die Hälfte aller Sklaven im Medura-Zwinger sind dran krepiert. Und Lady Medura selbst hat’s auch erwischt.«
»Cydnes Mutter?«
Er nickte. »Dem Sumpffieber isses wurscht, wer du bist. Arm oder Adel, Sklave oder frei, Mensch oder Crasii. Das Fieber nimmt jeden.«
Arkady erinnerte sich dunkel, dass ihr Vater von furchtbaren Seuchen erzählt hatte, die in den tropischen Sumpfregionen von Amyrantha regelmäßig verheerende Schäden anrichteten. Da sie sich damals nicht für die betreffenden Länder interessierte, schenkte sie seinen Berichten keine große Aufmerksamkeit. Das Einzige, woran sie sich konkret erinnerte, war seine Bemerkung, wie dankbar sie dafür sein konnten, dass Glaebas wesentlich kälteres Klima die Krankheit anscheinend auf Abstand hielt.
»Gibt es ein Heilmittel?«, fragte sie und wrang den Lappen aus.
»Kenne keins. Man versucht hauptsächlich zu verhindern, dass die Leute sich totkotzen und totscheißen. Wer das überlebt, dem geht’s in der Regel nach einer Woche besser.«
»Ich wusste gar nicht, dass du so ein medizinischer Experte bist, Geriko«, bemerkte Cydne und betrat den Raum vom anderen Flügel des Krankenhauses aus, wo sich auch sein Arbeitszimmer befand. Im Näherkommen streifte er seinen Umhang ab und gab ihn der Felide, die ihm als Leibwächter folgte. Die Felide, eine rotbraun getigerte mit weißer Brust und weißem Gesicht namens Jojo, nahm wortlos den Mantel entgegen und legte ihn sich über den Arm. Arkady kannte sie nicht näher. Cydne hatte sich erst kürzlich angewöhnt, in Begleitung einer Leibwache zur Klinik zu kommen. Die Idee stammte offenbar von seiner Frau und diente vermutlich mehr seiner Aufsicht als seinem Schutz.
Nun sah sich Cydne um, überprüfte Arkadys Werk und nickte anerkennend. Alle sechs Pritschen waren leer. Aus Angst vor einer Ausbreitung der Krankheit hatte
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