Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 3 - Der Palast der verlorenen Traeume
mich darauf, sie ablegen zu können, jetzt, da ich sicher in Caelum bin.«
»Ihr geht davon aus, dass Königin Jilna Euch willkommen heißt?«, forschte Li mit gerunzelter Stirn.
»Ich bringe ihr ihre Tochter zurück«, betonte Stellan. »Ihre Tochter, die von Unbekannten aus Caelum verschleppt, dem Ersten Spion von Glaeba ausgehändigt und gefangen gehalten wurde. Und zwar so lange“ bis es mir gelang, aus dem Kerker auszubrechen und den Mann, der für ihre Gefangennahme verantwortlich war, zu töten, um sie nach Hause zurückzubringen.«
Li starrte ihn eine ganze Weile schweigend an. Beinah jedes Wort von Stellans Erklärung war eine unverfrorene Lüge, und Li wusste das nur zu gut, denn er selbst hatte ihre Entführung ursprünglich arrangiert – mit ihrer tatkräftigen Unterstützung. Die beiden Männer fochten ein stummes Duell der Blicke aus, schätzten einander gründlich ab. Jeder versuchte dahinterzukommen, wie viel der andere wusste und wie weit er ihm trauen konnte.
Doch es war Nyah, die mit kindlicher Missachtung aller Taktik und Maskierung die Lage entspannte. »Es ist schon gut, Ricard. Stell – äh, Jareth weiß über alles Bescheid. Er weiß, wie Ihr mir geholfen habt und auch, wie Declan mir geholfen hat. Er hintergeht uns nicht. Es ist nur gerecht, wenn wir jetzt ihm helfen, indem wir ihm einen Süll gewähren.«
Li blickte auf die Prinzessin herab, sichtlich nicht gerade glücklich über ihren Vorschlag. »Sieh mal an, da habe ich mich gerade heute Morgen gefragt, was ich bloß mit diesem überflüssigen alten Süll anfangen soll, den ich noch herumliegen habe …«
Stellan lächelte. »Ich glaube, sie meint Asyl.«.
»Oh, keine Sorge. Ich weiß, was sie meint. Allerdings ist das eine mächtig große Bitte, Euer Gnaden. Nach allem, was ich hörte, seid Ihr in Eurem eigenen Land des Mordes und Hochverrats angeklagt. Und alle Welt nimmt an, Ihr seiet tot. Im harmlosesten Fall seid Ihr zumindest ein flüchtiger Sträfling. Eure Ankunft hier kann ernste Scherereien nach sich ziehen, sollte die Königin sich entschließen, Euch Asyl anzubieten.«
»Und solche Scherereien könnten, wie ich annehme, die Königin und ihren neuen Gemahl für einige Zeit so in Anspruch nehmen, dass sie einfach zu beschäftigt sind, um sich anderen, viel kleineren Problemen zu widmen«, erwiderte er und schaute auf Nyah.
Langsam glitt ein verschlagenes Lächeln über Lis strenge Züge. »Da habt Ihr ein stichhaltiges Argument, Euer Gnaden.«
Stellan reckte sich. »Es gibt einen Grund dafür, dass ich König Entenys bevorzugter Gesandter war, Meister Li, und ich kann Euch versichern, der Grund war nicht mein guter Geschmack bei der Wahl meiner Liebhaber.« Es war besser, dieses heikle kleine Detail gleich zu Anfang vom Tisch zu haben. Stellan gedachte sein neues Leben als politischer Drahtzieher, das ihm gleichsam in den Schoß gefallen war, nicht damit zu belasten, dass er weiterhin tat, als sei er ein Mann, der er nicht war.
Sollen sie mich doch nehmen, wie ich bin, hatte er entschieden. Mich schreckt keiner mehr mit den Folgen.
Zu schade, dass der arme Declan Hawkes diese Lektion erst noch würde lernen müssen.
»Auch davon haben wir gehört«, sagte Li. »Sind die Gerüchte wahr?«
»Die meisten schon.«
Zu seiner großen Erleichterung zuckte Ricard Li nur wegwerfend die Achseln. »Nun, das ist wohl Eure Sache, schätze ich. Hier in Caelum haben wir nicht solche … Skrupel, was das angeht. Gezeiten, wir verkuppeln unsere Kinder, um den Thron zu sichern. Da gestalten sich Eure besonderen … Vorlieben doch vergleichsweise harmlos, meint Ihr nicht?«
Unbeschreiblich erleichtert, seinen ersten Auftritt in Caelum glimpflich überstanden zu haben, nickte Stellan erlöst. »Ich glaube schon.«
Ricard Li lächelte. »Nun, dann … wollen wir Ihre Hoheit mal zum Palast geleiten? Wir sollten die Königin und ihren neuen Gemahl unterrichten, dass die verschollene Thronerbin von Caelum zurück ist, und dass Lord Tyrone, selbst wenn er morgen mit der Königin ein Kind zeugt, keinen Anspruch mehr auf die Regentschaft hat.«
Stellan warf einen raschen Blick auf Nyah. »Seid Ihr dafür bereit, Eure Hoheit? Es könnte ein bisschen ungemütlich werden.«
Nyah nickte feierlich. »Ich bin die Kronprinzessin von Caelum, Mylord. Ich tue, was auch immer erforderlich ist, um meinen Thron vor den Unsterblichen zu schützen.«
Ricard sah Stellan fragend an. »Den Unsterblichen?«
Stellan schüttelte den Kopf und seufzte.
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