Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 3 - Der Palast der verlorenen Traeume
dem Teufel, wie sein Titel als Unsterblicher lautete – als Braut angeboten zu werden. Er konnte nicht einmal mehr die Königin ermorden, um sich schnellstmöglich mit Nyah zu vermählen. Denn als kleine Ironie des Schicksals arbeitete die caelische Rechtsprechung ihnen hier ausnahmsweise in die Hände: Zwar sah es nicht so aus, als hätte in Caelum irgendjemand Skrupel, Kinder zu verheiraten, jedoch gab es ausgesprochen strenge Gesetze gegen Inzest. Lord Tyrone war jetzt faktisch Nyahs Stiefvater. Selbst wenn er morgen die Königin umbrachte, verbot ihm das caelische Gesetz jetzt und für alle Zeiten, seine Stieftochter zu ehelichen.
Natürlich war sie noch nicht gänzlich in Sicherheit. Die königliche Linie setzte sich in Nyah fort, und man erwartete von ihr, dass sie den Thron bestieg, sowie sie vermählt war; ein Ereignis, das die Caelaner lieber heute als morgen sehen würden. Wenn sie erst zurück war, würde man die Suche nach einem passenden Ehemann für die Prinzessin umgehend wieder aufnehmen.
Es blieb zu hoffen, dass Königin Jilnas eben erfolgte Wiedervermählung und Nyahs unverhoffte Rückkehr genug Unruhe in die Palastroutine brachten, um gewichtige Entscheidungen über die Zukunft des Kindes auf unbestimmte Zeit zu verzögern.
Eine einsame Gestalt in einem Kapuzenumhang erwartete sie am Kai. Hinter ihr stand eine unauffällig gewöhnliche Kutsche mit einem verloren dreinschauenden Wallach, der im Regen geduldig auf das Startkommando wartete. Wenn alles nach Plan lief, war der Mann am Kai Ricard Li, der Erste Spion von Caelum. Er war der einzige Mann in Caelum, der wusste, wo Nyah gewesen war. Das hieß dann wohl, dass Stellan ihm trauen konnte.
Seine letzten Erfahrungen hatten ihn jedoch gelehrt, niemandem vorbehaltlos zu trauen.
Sie stießen an die Kaimauer. Tenry und Crowe sprangen auf den Pier, um die Leinen festzumachen, während einer der Seeleute den Laufsteg auslegte. Nyah stürmte sofort hinüber und warf sich dem vermummten Mann entgegen. Er schloss sie kurz in seine Arme, dann blickte er auf und beobachtete Stellans Landgang. Als er sich näherte, eilte Nyah wieder an Stellans Seite, packte seine Hand und zog ihn vorwärts, damit er diesen Fremden kennen lernte, den sie ganz offensichtlich als Freund betrachtete.
»Jareth, dies ist Ricard Li«, sagte sie. »Erster Spion von Caelum.«
Vor ihrer Ankunft waren verschlüsselte Nachrichten von Glaeba nach Caelum gegangen, um Nyahs Heimkehr in die Wege zu leiten und Ricard Li zu informieren, dass die Prinzessin von jemand Wichtigem begleitet wurde. Aller Verkleidung zum Trotz erkannte Li Stellan fast auf Anhieb.
Der Erste Spion beäugte ihn von oben bis unten und schüttelte den Kopf. »Wie ich sehe, ist das glaebische Talent zum Understatement weiterhin ungebrochen.«
»Verzeihung?«
»Jemand Wichtiges begleitet die Prinzessin, so in etwa lautete doch die Botschaft.« Li lächelte schwach. »Je nun, der Thronerbe passt wohl gut zur Thronerbin, nehme ich an. Hat Hawkes diesen idiotischen Plan ausgeheckt?«
Stellan drückte warnend Nyahs Hand. »Declan Hawkes ist tot.«
Zu seiner großen Erleichterung widersprach Nyah nicht. Zwar hatte Declan sie beim Leben ihrer Mutter schwören lassen, mit keiner Silbe zu verraten, dass er überlebt hatte und zum Unsterblichen gewandelt war. Trotzdem wusste Stellan noch nicht so genau, ob sie sich darüber im Klaren war, was für Auswirkungen es haben konnte, wenn sie das Geheimnis lüftete. Stellan hatte sein bisheriges Leben mit zahllosen Täuschungsmanövern verbracht, um zu vertuschen, was er war. Er verstand die missliche Lage des jüngeren Mannes besser als jeder andere. Wenn Declan seine Unsterblichkeit nicht nur vor seinen Feinden, sondern auch vor seinen Freunden verheimlichen wollte, weil er wusste, dass niemand in ihm noch denselben sehen würde wie zuvor … nun, gerade Stellan konnte ihm das wohl kaum ankreiden.
Li musterte ihn eingehend, bevor er sprach. »Trotz Eurer ziemlich sinnlosen Verkleidung seht Ihr bemerkenswert gut aus, Euer Gnaden. Vor allem, wenn man bedenkt, dass Ihr tot seid.«
Stellan wünschte, er könnte erkennen, ob der Mann nur harmlos oder boshaft scherzte. Wenn ihm danach war, genügte ein Wort von Ricard Li, um ihn festnehmen zu lassen und auf direktem Weg nach Glaeba zu verfrachten.
Er entschied sich dafür, das Beste anzunehmen. »Die sinnlose Verkleidung sollte meine Reise durch Glaeba erleichtern und vereiteln, dass ich allzu leicht erkannt werde. Ich freue
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