Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 4 - Der Kristall des Chaos
Siegelring steckte an der verschrumpelten Hand. Stellan starrte ihn kurz an und griff dann zu, um ihn abzunehmen. Der Ring glitt erstaunlich leicht von Mathus Finger, vielleicht weil er einst für seines Vaters größere, fleischigere Hände gefertigt worden war.
»Ihr fleddert Leichen?«, ertönte eine Stimme hinter ihm. »Wie ausgesprochen gewöhnlich von Euch, Euer Gnaden.«
Wütend fuhr Stellan herum und ließ den Ring in seine Tasche gleiten. »Ich hatte ausdrücklich Befehl gegeben, mich nicht zu stören!«
»Das habt Ihr den Crasii befohlen, Desean. Aber mein Wille zählt inzwischen mehr als Eurer, jedenfalls bei ihnen.«
Stellan starrte Declan Hawkes mit offenem Mund an. »Hawkes? Gezeiten, Mann, was treibt Ihr hier in Caelum?«
»Lange Geschichte«, sagte Declan und schloss die Tür hinter sich. Er schritt durch den Raum und starrte kurz auf den toten König. »Ich hab immer gewusst, dass es mit Mathu Debree ein erbärmliches Ende nehmen würde.«
Der Erste Spion hatte sich in den letzten Monaten überhaupt nicht verändert. Das war wohl kaum überraschend, da Hawkes ja jetzt unsterblich war. Überraschend war allerdings sein plötzliches Auftauchen hier, und das hatte zweifellos etwas mit den Geschehnissen des Tages zu tun.
Declan sah auf und blickte sich um. »Wenigstens ist dies das letzte Bordell, aus dem Ihr ihn rausholen müsst.«
»Declan, wie seid Ihr … warum seid Ihr hier?«
»Da Mathu nun tot ist, macht Euch das wohl zum König von Glaeba, nehme ich an«, sagte der ehemalige Erste Spion und ignorierte seine Frage.
»Das mag wohl sein.«
»Theoretisch macht das Arkady wohl zu Eurer Königin. Es sei denn, Ihr hättet die Zeit gefunden, Eure eheliche Verbindung aufzulösen, während ich die halbe Welt nach ihr abgesucht habe.«
Stellans Herz wurde schwer bei diesen Worten. Bei ihrem letzten längeren Gespräch hatte er diesen Mann gebeten, sie zu finden. Hawkes’ Anwesenheit hier und jetzt bedeutete vermutlich, dass er ihrer Fährte bis nach Glaeba gefolgt war.
»Declan … es tut mir so leid … Arkady war draußen auf dem Eis …«
Declan schüttelte den Kopf. »Nein, war sie nicht.«
Stellan seufzte. Er glaubte zu verstehen, warum Hawkes sich so stur weigerte, die Wahrheit anzuerkennen. Stellan hatte selbst noch immer Mühe zu begreifen, dass Arkady unwiderruflich tot war, dabei liebte er sie nicht einmal annähernd so, wie Hawkes es tat. Er ging einen Schritt auf ihn zu und versuchte mitfühlend auszusehen. »Ich weiß, dass Ihr glauben möchtet, dass sie noch lebt, Declan, aber ich fürchte, da setzt Ihr blinde Hoffnung über die Tatsachen. Bevor die Schlacht anfing, habe ich eine Botschaft von Jaxyn erhalten. Arkady war seine Gefangene. Sie war bei ihm da draußen, von wo er die Schlacht verfolgt hat, keine drei Fuß von wo Mathu stand, als das Podium im Wasser versank. Es gibt kein –«
»Sie war nicht auf dem Podium«, bemerkte Declan kühl.
»Woher wollt Ihr das wissen?«
»Chikita hat’s mir gesagt.«
»Chikita?«
»Diese Felide, die Ihr bei einem Bärenkampf gewonnen habt, als Mathu damals nach Lebec kam«, versetzte Declan. »Sie gehört zu uns.«
»Zu uns?«, fragte Stellan ziemlich verwirrt.
»Sie ist eine Ark. Arbeitet für die geheime Bruderschaft.«
Stellan starrte ihn sprachlos an. Er kannte selbstredend die geheime Bruderschaft des Tarot, aber er hatte keine Ahnung gehabt, dass sie ihn so strikt unter Beobachtung hatten, und das offenbar schon lange, bevor er überhaupt die Wahrheit über die Unsterblichen erfuhr.
Hawkes schien keinerlei Gewissensbisse zu verspüren, weil er Spione in seinen Haushalt eingeschleust hatte. »Wir mussten sie in Eure Dienste stellen, um ein Auge auf Jaxyn zu haben.«
Stellan stieß einen ächzenden Seufzer aus, dann schüttelte er den Kopf. »Mit diesem Wir meint Ihr vermutlich die Bruderschaft und nicht etwa Agenten des Königs, richtig?«
Hawkes nickte, ohne jedoch den Blick von Mathus Leiche zu lösen.
Stellan erinnerte sich noch ganz gut an den Vorfall, aber es bestürzte ihn doch, wie leicht er zu täuschen gewesen war. »Wie konntet Ihr denn schon im Vorfeld wissen, dass ich für sie ein Angebot machen würde?«
»Das wussten wir nicht«, sagte Hawkes und beugte sich prüfend über die Leiche. »Wir hatten einen Plan, der sich jedoch als unnötig erwies, als Ihr höchst ritterlich – und unplanmäßig, aber sehr entgegenkommend – Euer Angebot gemacht habt. Ihr kauft sonst … vielmehr, damals kauftet Ihr sonst
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