Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 4 - Der Kristall des Chaos
Gefängnis sitzt, nur für das Verbrechen, ein Wohltäter von Menschheit und Crasii zu sein.«
Bary wünschte, er könnte aus Stellans neutralem Ton heraushören, wie er darüber dachte. Womöglich hatte Arkady mit ihrer Einmischung sein Todesurteil erwirkt, statt ihm zu helfen.
»Es tut mir Leid, Euer Gnaden. Sie hatte bestimmt nicht die Absicht, Euch zu beleidigen …«
Stellan lächelte und hob die Hand, um Barys Entschuldigung abzuwehren. »Schon gut, Doktor Morel. Ich habe ihre Petition für Eure Begnadigung mit Vergnügen angehört. Natürlich erst, als mir klar wurde, wen ich vor mir hatte. Zuerst habe ich Eure Tochter nämlich gar nicht wiedererkannt. Sie ist wirklich eine überwältigende junge Frau geworden. Ihr müsst sehr stolz auf sie sein.«
Bary nickte. Seine Sicht verschwamm, als er daran dachte, was sie noch alles getan hatte, um ihn zu schützen. Beim Fürsten von Lebec hereinzuplatzen und seine Freilassung zu fordern war noch das Geringste. »Sie ist eine wunderbare Tochter«, bestätigte er und wischte sich die Augen. »Ihr habt ja keine Ahnung.«
»Sie hat verlangt, dass ich Euch begnadige.«
Bary lächelte matt. »Optimistin ist sie auch.«
»Und äußerst wortgewandt. Wie sie mir sagt, studiert sie Geschichte und will sogar einen Doktorgrad erlangen.«
Bary nickte erneut. »Eigentlich wollte sie Ärztin werden, aber die medizinische Fakultät lässt keine Frauen zu.«
»Ich bin sicher, die Universitätsleitung hat dafür gute Gründe.«
Keiner davon kann Arkadys Überzeugung schmälern, dass unsere Gesellschaft in der Hand von frauenfeindlichen Schwachköpfen ist. Er zuckte die Achseln. Ihm war unklar, was die akademischen Ambitionen seiner Tochter mit seiner Lage zu tun hatten. »Nun ja, Euer Gnaden, sofern Ihr diese Gründe nicht genau kennt und überzeugend vertreten könnt, möchte ich davon abraten, dieses Thema in Gegenwart meiner Tochter anzuschneiden.«
Stellans Lächeln wurde breiter. »Ja, diese Lektion habe ich bereits gründlich gelernt.«
»Es war sehr gütig von Euch, sie anzuhören, Euer Gnaden. Und Euch die Zeit für einen Besuch bei mir zu nehmen.«
Stellans Lächeln schwand. »Ich muss gestehen, Doktor Morel, dass ich nicht gekommen bin, um mir die Zeit zu vertreiben oder einen alten Dienstmann meiner Familie zu besuchen, wenn man Euch ob Eurer gelegentlichen Palastbesuche überhaupt so nennen kann.«
Barys Herz setzte einen Schlag aus. Das klang nicht sonderlich ermutigend. Gezeiten, was hat sie nur zu dem Mann gesagt?
»Warum seid Ihr dann hier, Euer Gnaden?«
»Weil ich denke, dass wir einander einen Gefallen tun können, Doktor Morel«, verkündete der Fürst. »Jeder von uns hat etwas, das der andere will.«
Bary konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Nun ja, ohne Zweifel steht es in Eurer Macht, mir zu gewähren, was ich ersehne, Euer Gnaden«, sagte er. »Aber ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, was ich Euch anzubieten hätte.«
»Ich könnte Euch wohl begnadigen«, stimmte Stellan zu und lehnte sich im Sessel des Kerkermeisters zurück. »Aber das würde nicht ohne Gerede abgehen. Man hat Euch auf frischer Tat ertappt, mein Freund. Ihr habt einer flüchtigen Sklavin geholfen, ihren Häschern zu entkommen. Und was noch schlimmer ist, der Hauptzeuge, der gegen Euch aussagt, ist eins der prominentesten Fakultätsmitglieder der Universität von Lebec. Ich kann Fillion Rybanks Aussage nicht einfach als haltlos vom Tisch wischen, nur weil ich Euch zufällig lieber mag als ihn.«
Als Rybanks Name fiel, fühlte Bary heißen Zorn aufwallen. Was dieser Mann seiner Tochter angetan hatte, war jenseits aller Skrupel. Allein der Gedanke daran machte ihn ganz krank. Arkady war natürlich nicht bekannt, dass ihr Vater Bescheid wusste. Sie glaubte immer noch, er habe keine Ahnung von der ganzen unseligen Affäre. Mit bitterer Ironie erinnerte er sich daran, was für Sorgen er sich gemacht hatte, als ihm vor ein paar Jahren aufging, dass seine Tochter wohl nicht so unerfahren war, wie ihm lieb gewesen wäre. Damals hatte er angenommen, dass sie mit dem jungen Hawkes schlief. Eigentlich ein ganz ordentlicher Bursche, wenn auch ein notorischer Unruhestifter. Und die beiden waren immerhin fast ihre ganze Jugend über unzertrennlich gewesen.
Heute wünschte sich Bary geradezu, dass seine Tochter mit dem jungen Hawkes geschlafen hätte. Damit hätte er sich noch irgendwie arrangieren können wie jeder andere Vater auch. Aber die Wahrheit – die
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