Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 4 - Der Kristall des Chaos
geflohen sein, nachdem Chikita sie hatte entkommen lassen, was die klügste Entscheidung gewesen wäre und darum höchstwahrscheinlich die, die Arkady gewählt hätte. Oder aber sie war so verzweifelt gewesen, dass sie den Versuch einer Heimkehr nach Lebec gewagt und sich entschieden hatte, das Eis zu Fuß zu überqueren. Wenn sie das getan hatte, war Arkady so sicher tot, wie die Sonne an diesem Morgen über dem See aufging.
Insgeheim konnte Declan allerdings nicht glauben, dass sie so dumm gewesen sein könnte.
Ihr Aufenthaltsort blieb jedenfalls ein Rätsel – eines, das zu lösen vielleicht gar nicht klug war. Er war nach Caelum gekommen, um sie vor Jaxyn zu retten – doch das hatte sie nun bereits ohne seine Hilfe bewerkstelligt. Selbst wenn er sie aufspürte, war es womöglich keine gute Idee, das irgendjemanden wissen zu lassen. Nicht mit Cayal in der Nähe.
Wo immer Arkady steckte, war sie wahrscheinlich besser dran ohne weitere Verwicklungen mit Unsterblichen.
Nebenbei gab es noch anderes, worum er sich kümmern musste. Declan betrachtete die Schemen der Berge seiner Heimat in der Ferne über dem See. Binnen weniger Tage – vielleicht auch nur Stunden, wenn ihre Agenten in Cycrane über Brieftauben verfugten – würde die Bruderschaft erfahren, dass Declan Hawkes am Leben war. Mehr noch, sie würden erfahren, dass Declan Hawkes für immer am Leben war.
Er hatte keine Ahnung, wie sich die Bruderschaft in dieser Frage verhalten würde. Er erlaubte sich ein zynisches kleines Lächeln, als ihm aufging, dass das Einzige, was er garantiert ausschließen konnte, die Möglichkeit war, dass sie ihn jagen und umbringen würden.
Aber die Bruderschaft würde eine Erklärung verlangen für das, was sie – und da war er sich ziemlich sicher – nur als den ultimativen Verrat betrachten konnten.
Und Declan fühlte das aufrichtige Verlangen, eine Erklärung abzugeben. Er wollte Tilly wissen lassen, dass er um all das nicht gebeten hatte – ja, dass er nie geglaubt hätte, so etwas könnte ihm überhaupt zustoßen. Und doch war er jetzt hier, war der Feind. Er war zu allem geworden, was er seit seiner Kindheit verabscheuen gelernt hatte. Er musste der Bruderschaft klarmachen, dass er sich dies nicht ausgesucht hatte. Er wollte, dass sie wussten: Wäre da eine Wahl zwischen Unsterblichkeit und Tod gewesen, er hätte sich binnen eines Herzschlags für den Tod entschieden.
So, hättest du?, fragte eine verräterische Stimme leise in seinem Geist. Das sagst du jetzt, aber wenn du die Wahl gehabt hättest, hättest du wirklich den Tod dem ewigen Leben vorgezogen?
Er wusste die Antwort nicht. Aber im Verlauf seines nutzlosen Grübelns war er immerhin zu einer Erkenntnis gekommen: Was immer auch Glaeba widerfuhr, wer auch immer dort den Thron bestieg, der Erste Spion des früheren Königs hatte dort noch unerledigte Angelegenheiten zu regeln.
Declan sah sich auf dem Kai um, wo er stand, und hoffte, ein Gefährt zu finden, das ihn über den See bringen würde. Theoretisch konnte er wohl einfach auf ein Stück der geborstenen Eisdecke hüpfen und damit übers Wasser gleiten, so wie er auf Kentravyons Teppich und Cayals Strohdach den Ozean überquert hatte. Aber Declan war nach einer traditionelleren Art des Reisens zumute. Er verspürte keine Neigung, seine Ankunft öffentlich anzukündigen, indem er auf einer fliegenden Eisscholle über den See ritt.
. Er warf einen Blick auf die arbeitenden Caniden. Einer von ihnen hatte ein kleines Ruderboot, etwa so groß wie das Dingi, das Stellan Desean damals gestohlen hatte, als sie aus dem brennenden Kerker von Herino flohen, wo Declan unsterblich geworden war. Er würde fast den ganzen Tag brauchen, um bis nach Glaeba zu rudern, aber er konnte ja immer noch auf Gezeitenmagie zurückgreifen, wenn ihn die physische Anstrengung zu sehr erschöpfte.
Declan runzelte die Stirn. Gezeiten, ich fange an zu denken wie einer von ihnen.
»Du da!«, rief er dem Caniden im Ruderboot zu. »Komm her!«
Der Crasii gehorchte ohne Zögern. Er kehrte seiner Aufgabe den Rücken, legte die Stange, mit der er Leichen an den Strand gezogen hatte, über den Bug, nahm die Riemen auf und ruderte zu dem Kai, auf dem Declan stand.
»Ich nehme dein Boot«, sagte Declan, als das Fahrzeug sanft an die Dalben stieß.
Der Canide dachte nicht einmal daran, das infrage zu stellen. »Ich atme nur, um euch zu dienen, Herr«, sagte er mit einer Verbeugung, dann stand er vorsichtig auf und warf ein Seil aufs
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