Fallon, Jennifer - Gezeitenstern Saga 4 - Der Kristall des Chaos
eine Hure geworden, weil sie Spaß daran hatte, und wie Arkady auf ihrer gemeinsamen Rückreise aus Senestra erfahren hatte, nahm sie diesen Beruf immer wieder auf, wenn sie für die Dauer einer kosmischen Ebbe untertauchen musste. Das war nun etwas, was Arkady überhaupt nicht nachvollziehen konnte. Zwar hatte sie auf der Reise von Senestra eine Kajüte mit Lyna geteilt, und Lyna hatte sich während dieser Zeit wenn schon nicht unbedingt zugewandt, so doch zumindest umgänglich gezeigt. Dennoch traute Arkady ihr und ihren Motiven nicht über den Weg.
Jaxyn gedachte sich offenbar nicht festlegen zu lassen, was Arkadys Los anging – nicht einmal von seiner Verlobten. »Nun, wir werden sehen, meine Liebe. Hast du unseren anderen Gast gut untergebracht?«
»Der gute Doktor Morel ruht sich mit allem Komfort in einem Gästezimmer aus, unter Bewachung, wie du es haben wolltest«, versicherte ihm Lyna. »Obwohl er mit seinen neuen Lebensumständen nicht besonders glücklich zu sein scheint.«
»Warum, ist etwas mit seiner Unterbringung nicht in Ordnung?«, fragte Arkady.
»Kann man nicht behaupten, zumal wenn man bedenkt, wo er gerade herkommt«, sagte Lyna. »So wie ich es verstanden habe, hat er eher moralische Bedenken. Ich glaube, Euer Vater hält Euch für eine schamlose Hure, Arkady.«
»Und Ihr habt natürlich nichts getan, um diese Bedenken zu zerstreuen?«
Die Unsterbliche zuckte die Schultern. »Wieso sollte es mich kümmern, was Euer Vater sich zusammenspinnt? Womöglich hat er sogar recht. Ihr seid doch bekannt dafür, dass Ihr die Beine breit macht, um zu kriegen, was Ihr haben wollt.«
Arkady bemerkte Jaxyns belustigte Miene und fragte sich unwillkürlich, ob er diese Begegnung absichtlich inszeniert hatte, um ihre Selbstbeherrschung auf die Probe zu stellen. Aber nach allem, was sie hinter sich hatte, perlten Beleidigungen an ihr ab wie Regentropfen von gut gewachstem Ölzeug. Sie schenkte Lyna ein honigsüßes Lächeln. »Auf diesem Feld seid Ihr doch die wahre Expertin, Mylady«, entgegnete sie mit ätzender Freundlichkeit. »Vielleicht können wir uns mal zusammensetzen und ein wenig fachsimpeln.«
Lyna fand das gar nicht lustig. »Der Tod ist etwas höchst Endgültiges, Arkady. Ihr wollt doch nicht, dass ich Euch das am eigenen Leib spüren lasse.«
»Arkadys Sterblichkeit war gerade auch das Thema unserer Unterhaltung«, warf Jaxyn ein und lehnte sich schmunzelnd zurück. Der Zickenkrieg amüsierte ihn offensichtlich prächtig. »Wie es scheint, gibt sie sich alle Mühe, einen von uns dazu zu provozieren, sie abzumurksen.«
»Gezeiten«, sagte Lyna, »was für eine Verschwendung. Aber ich schätze, das erklärt vielleicht die kryptische Botschaft, die ich Euch von Eurem Vater ausrichten soll.«
»Was für eine Botschaft?«
»Er meinte, ich soll Euch sagen, dass Ihr Euch über die Zukunft keine Sorgen mehr zu machen braucht. Und dann noch irgendwas darüber, dass er sich zur Abwechslung mal als Vater erweisen will und dass es Zeit sei, dass er endlich seine Pflicht tut.« Sie zuckte unbekümmert die Achseln. Die Nachricht bedeutete ihr offenbar nichts. »Ihr habt wirklich Glück, wisst Ihr das? Mein Alter hat mich mit zwölf an ein Bordell verkauft. Den scherte es nicht die Bohne, was aus mir wird. Sind wir eigentlich beim Abendessen zu dritt, Jaxyn? Oder umfasst Arkadys Hausarrest keine Mahlzeiten mit der Familie?«
»Sei nicht so gehässig, Lyna.« Jaxyn lächelte noch immer. »Es ist nicht nett, unseren Gast damit aufzuziehen, was sie verloren hat. Ist es auch nicht zu traumatisch für Euch, wieder hier im Palast von Lebec zu sein, Arkady? Umgeben von all den hübschen Sachen, die Euch nun nicht mehr gehören?«
Arkady antwortete nicht, weil sie gar nicht richtig zuhörte. Etwas an der Botschaft ihres Vaters beunruhigte sie, wenn sie auch nicht so recht den Finger darauf legen konnte. »Hat mein Vater sonst noch etwas gesagt, Mylady?«
Lyna schüttelte den Kopf. »Nichts von Belang. Aber man sollte doch meinen, dass er etwas dankbarer wäre, also wirklich. Bis vor ein paar Stunden saß der dumme alte Knacker noch im Kerker von Lebec ein. Jetzt kann er sich den Krieg von seinem Federbett aus ansehen. Manchen Leuten kann man es einfach nicht recht machen.«
»Ich glaube, ich sehe besser mal nach ihm«, sagte Arkady und stand auf.
»Eigentlich wolltet Ihr doch wohl sagen: Bitte, Euer Gnaden, darf ich mal nach ihm sehen, nicht wahr?«, fragte Jaxyn.
Arkady starrte ihn finster an.
»Ihr
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