Falsch gespielt: Kriminalroman (German Edition)
aber Frauen und Kinder sind ja besonders ausgeliefert. Damals konnte ich nicht mehr tun, als ihnen ein bisschen Kleingeld zuzuwerfen, aber nach diesem Erlebnis begann ich nachzudenken. Was kann ich tun, um zu helfen? Um das Leben für jemanden zu ändern, und wenn es nur ein einziger Mensch ist? Als ich wieder zu Hause war, beschloss ich, mich für die Obdachlosen einzusetzen. Sie leben direkt neben uns, aber oft genug wollen wir sie nicht sehen. Also besuche ich hin und wieder ein paar von ihnen, unterhalte mich ein bisschen mit ihnen, zeige ihnen, dass ihr Schicksal mir nicht egal ist. Das ist nicht viel, aber ich glaube, sie wissen es zu schätzen.«
»Und Essen haben Sie auch dabei, wie ich sehe«, sagte jemand, der nicht im Bild zu sehen war. Sjöberg nahm an, dass es sich um die Reporterin handelte.
»Ich bringe immer ein paar Pizzen mit oder eine Kiste mit Lebensmitteln. Man möchte ja nicht mit leeren Händen zu Besuch kommen«, sagte Erlandsson mit einem Lachen.
»Was für ein Clown«, bemerkte Gerdin mit einem Kopfschütteln.
Sjöberg warf ihr einen fragenden Blick zu, aber sie war schon wieder in den Film vertieft. Erlandsson klopfte an die Tür des Wohnwagens und ging hinein.
»Schönen guten Tag allerseits«, rief er. »Haben Sie Hunger?«
Das Filmteam schien sich ebenfalls mit in den Wohnwagen zu drängen, denn es folgte eine Sequenz, in der alle einander begrüßten und die Pizzen ausgepackt wurden. Abgesehen von Erlandsson und dem Filmteam befanden sich vier Personen in dem Wohnwagen, zwei Männer, eine Frau und ein junges Mädchen mit einer Perle in der Nase, das nur wenige Sekunden zu sehen war, bevor es anscheinend aus dem Wohnwagen verschwand. Die Reporterin stellte ein paar Fragen, während sie aßen, aber Erlandsson war nicht im Bild und kam erst am Schluss des vierminütigen Beitrags wieder zu Wort.
»Mittlerweile scheinen Sie ja fast einer von ihnen zu sein«, sagte die Reporterin halb im Scherz. »Worüber unterhalten Sie sich, wenn Sie zu Besuch sind?«
»Über alles zwischen Himmel und Erde«, antwortete Erlandsson ernst. »Was passiert ist und was passieren wird. Alltägliche Sorgen. Respekt. Das Ausgeliefertsein. Besonders von Frauen. Auch hier. Ich finde es wichtig, dass sich unter den Obdachlosen keine sozialen Hierarchien bilden. In solchen Strukturen landen Frauen in der Regel ganz unten.«
Erlandsson verschwand aus dem Bild, und die Kamera fing stattdessen den Rest der Gesellschaft ein. Alle drei nickten zustimmend. Der Beitrag war zu Ende.
»Was sagst du jetzt?«, fragte Gerdin zufrieden und stellte den Bildschirm aus.
»Fantastisch. Wie hast du den Film gefunden?«
»Er ist aufgetaucht, als ich gegoogelt habe. Ganz schön pathetisch, oder?«
»Ich verstehe nicht, was du meinst«, gab Sjöberg aufrichtig zu. »Wie kann denn Wohltätigkeit pathetisch sein?«
»Wenn man es nur um seiner selbst willen macht«, war Gerdins schlichte Antwort.
»Aber woran willst du das erkennen? Dass er es nur um seiner selbst willen macht?«
»Siehst du das nicht? Wie selbstgerecht er mit seinen verdammten Pizzakartons durch den Wald anmarschiert kommt? Und anfängt, über sein Engagement zu reden, als ob er selbst hier die Hauptperson wäre.«
»Das war hier vielleicht auch die Absicht? Um andere Menschen zu vergleichbarem sozialen Engagement zu ermuntern. Nein, das sehe ich anders als du. Ich fand, dass er einen ausgesprochen vernünftigen Eindruck machte.«
»Respekt – my ass«, fuhr Gerdin fort, ohne auf Sjöbergs Einwurf einzugehen. »Das ist so ein Typ, der Obdachlose zum Frühstück isst. Und was er über soziale Hierarchien sagt – ich fresse meinen Hut, wenn er nicht jedes Mal ganz oben auf der Treppe steht, egal in welcher sozialen Hierarchie er sich gerade bewegt.«
Sjöberg warf einen unfreiwilligen Blick auf den nicht existierenden Hut, an dessen Stelle sich im Augenblick ein dunkelblondes Vogelnest mit einem Einschlag von Grau befand.
»Da möchte ich nicht widersprechen«, grummelte Sjöberg. »In der Beziehung hast du sicher recht, aber dass das Ganze nur ein Spiel für die Galerie war, halte ich für übertrieben. Wer rennt schon ständig mit einem Stapel Pizzen zu den Obdachlosen, nur um sich gut in Szene zu setzen?«
»Wir wissen ja nicht, wie oft er da war. Vielleicht war es das zweite und letzte Mal?«
»Naja, das kann man ja leicht herausfinden. Ich schlage jedenfalls vor, dass wir unvoreingenommen arbeiten und ihn nicht verurteilen, bevor wir mehr darüber
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