Falsch
und schmunzelte. »Sie sollten einen Forscher nie nach seinem Spezialgebiet befragen, sonst hört er gar nicht mehr auf zu reden. Und ich will Sie nicht langweilen.«
»Das ist ganz und gar nicht langweilig, das ist äußerst spannend«, entgegnete Bernadette.
»Sie werden sich fragen, warum ich Ihnen das alles erzähle«, fuhr Grasset fort. »Nun, Sie übernehmen heute Nachmittag eine Klasse, in Vertretung von Frau Wiesner, die erkrankt ist. Gestern Nachmittag kam eine neue Schülerin zu uns, sie wurde von ihren Eltern gebracht. Ich habe sie nach ausführlichen Tests in genau jene Klasse eingeteilt, die Sie heute betreuen werden. Francesca Di Lauro ist zwölf Jahre alt, und ich bin der festen Überzeugung, sie ist einer der extrem seltenen weiblichen erstaunlichen Savants. Ich möchte daher, dass Sie sich ihrer ganz besonders annehmen. Sie muss mit einer neuen Umgebung zurechtkommen, hat unbekannte Schulkameraden um sich herum. Ich habe deshalb noch einen zusätzlichen Lehrer für die Klasse eingeteilt, damit Sie auch genug Zeit und Muße haben, sich um das Mädchen zu kümmern.«
»Sehr gern«, gab Bernadette zurück, »aber ich muss gestehen, dass mein Italienisch etwas eingerostet ist.«
Der Wissenschaftler lächelte geheimnisvoll. »Sagte ich nicht, dass sie ein Savant ist? ›Savants‹ heißt übersetzt ›die Wissenden‹. Francesca spricht unter anderem acht Sprachen fließend. Allerdings nicht mit jedem.«
Hotel Diez,
Medellín/Kolumbien
Llewellyn köpfte sein kernweiches Frühstücksei mit einem einzigen Schlag. Er war nicht gerade bester Laune – nach einer ungestörten, aber keineswegs erholsamen Nacht. Jedes Mal, wenn er aufgewacht war, hatte er sich den Kopf darüber zerbrochen, wohin Böttcher verschwunden sein konnte. Darüber war er dann regelmäßig wieder in einen unruhigen, von seltsamen Träumen erfüllten Schlaf gefallen.
Nach dem Abgang von Zwingli alias Schmidt am Abend zuvor hatte sich auch das letzte Verbindungsglied zu dem berüchtigten Konsortium in Luft aufgelöst. Llewellyn weinte dem aalglatten Schweizer keine Träne nach. Aber damit waren seine Optionen äußerst reduziert: Der Major konnte nur an Böttcher dranbleiben. Doch genau das war das Problem, denn es gab Fragen über Fragen: Wohin war der alte Sonderling geflohen? War er noch in Medellín, in Kolumbien, oder hatte er das Land bereits verlassen? Woher hatte Böttcher gewusst, dass ihm die Schweizer oder Llewellyn und seine Männer auf den Fersen waren? Wo hatte der alte Mann so viel Sprengstoff her? Wer waren die Männer, die ihm geholfen hatten? Denn Böttcher war bei seiner Fluchtaktion nicht allein gewesen, das stand fest, sonst hätte er nicht so rasch verschwinden können.
Der Major hatte keinerlei Kontakte in Medellín. Der britische Honorarkonsul, misstrauisch wie eine alte Jungfer, hatte ihm nach der ausführlichen Untersuchung des eingeschweißten Ausweises mit gemischten Gefühlen sein Büro zur Verfügung gestellt und einen Arzt verschafft, der ohne viele Fragen die Wunde am Oberarm behandelt hatte. Aber weiter würde er nicht gehen, das hatte er unmissverständlich klargemacht. Auf seine Männer konnte der Major auch nicht mehr zählen, die waren entweder bereits im Sarg auf der Heimreise oder nach wie vor im Krankenhaus.
Llewellyn war also gestrandet, im Frühstücksraum eines Hotels in Medellín, und das ärgerte ihn.
Bisher ist so ziemlich alles schiefgegangen bei diesem Auftrag, der vielleicht gar keiner mehr war, dachte er. Sollte er einfach aufgeben, das Feld räumen und nach England zurückfliegen?
Selbst der Duft des frisch gebrühten Kaffees konnte seine Stimmung nicht heben. Im halbleeren Saal, der extravagant dekoriert war und mit einem Büffet aufwarten konnte, das seinesgleichen in Medellín suchte, saßen um diese Zeit nur mehr ein paar Langschläfer. Llewellyn sah sich um und beschloss dann, noch einmal einen Nachschlag vom Buffet zu holen und das Frühstück mit einigen Früchten und einer Schale Müsli zu krönen.
»Man gönnt sich ja sonst nichts«, murmelte er missmutig und schlängelte sich zwischen den Tischen durch. In einer Ecke des Raumes liefen auf einem der unvermeidlichen Flatscreens Soap Operas, unterbrochen von Werbung und Nachrichten aus aller Welt, Südamerika und Kolumbien. »Caracol- TV « stand im linken oberen Eck des riesigen Bildschirms als Senderkennung.
Llewellyn dachte schaudernd, dass die Programme auf der ganzen Welt bereits beängstigend gleich aussahen,
Weitere Kostenlose Bücher