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Falsch

Falsch

Titel: Falsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
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fragte sich, ob er sie noch reinigen oder bei »Manaus Marine«, dem lokalen Halsabschneider, sein Geld in vier neue investieren sollte. Das eindringende Wasser, das immer wieder von den elektrischen Bilgepumpen in den Rio Negro zurückbefördert werden musste, ignorierte er geflissentlich. Und da war auch noch das kaputte Verdeck, die verrotteten Matratzen unter dem neuen Bezug und … und … und …
    Auf fast allen Booten, die entlang der kleinen Mole lagen, wurde gearbeitet. Jeder nutzte das gute Wetter aus. Abgesehen von ein paar harmlosen Kumulus-Wolken war der Himmel tiefblau. In der Ferne am Horizont ragten die hohen Gipfel des Pico-da-Neblina- Massivs empor wie die unwirkliche Kulisse in einem Hollywood-Film.
    São Gabriel da Cachoeira, was frei übersetzt so viel wie »Wasserfall des heiligen Gabriel« heißt, liegt am linken Ufer des Rio Negro, knapp 850 Kilometer von Manaus entfernt, hoch im Norden des Amazonasgebiets. Zur kolumbianischen Grenze sind es rund 260 Kilometer, zum Meer mehr als zweitausend. So weit das Auge reicht und darüber hinaus erstreckt sich der Dschungel des Amazonas.
    Und die Nähe zum Äquator macht alles nicht besser, dachte Finch, als er die letzte Zündkerze herausschraubte, sie begutachtete und sich seufzend entschloss, doch zu »Manaus Marine« hinüberzupilgern. Hier war schon das Atmen anstrengend.
    Er wischte sich mit dem Handrücken erst die Schweißtropfen aus den Augen und dann die Hände ab und kletterte so in einer öligen Kriegsbemalung von Bord, die ihm einige belustigte Blicke eintrug. Bei Tonys saßen wie immer Gruppen von Jugendlichen und spielten lautstark und mit Hingabe Domino. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung von São Gabriel war unter zwanzig Jahre alt, und es schien, als ob sie heute alle gleichzeitig auf der Straße waren. In der Avenida 7 de Setembro drängten sich die Hungrigen um zwei stadtbekannte Holzbuden, die Pizzas, Sandwiches und Salate verkauften. Die paar Bänke davor mit dem Blick auf den Rio Negro waren jeden Abend heiß begehrt.
    John Finch wollte gerade um die Ecke biegen, als ein riesiger Geländewagen mit verdunkelten Scheiben neben ihm hielt. Surrend fuhr das Glas auf der Fahrerseite herunter, und Finch blickte in große verspiegelte Sonnenbrillengläser über rot geschminkten Lippen, die von langem, dunklem Haar wie ein Theatervorhang eingerahmt wurden.
    »Senhor Finch? John Finch?« Ihre Stimme war so schwarz wie ihre Haare und so selbstsicher wie die eines Boxers, dessen Gegner gerade ausgezählt worden ist. Im Autoradio sang Bob Dylan »Things have changed«.
    Finch nickte und wartete. Er verkniff sich die Bemerkung »Und wer möchte das wissen?« im letzten Moment.
    »Sie sind älter, als ich dachte«, meinte die Frau, und es klang ehrlich erstaunt.
    Es ärgerte ihn. »Ich bin selbst überrascht, dass ich es bis hierher geschafft habe«, gab er zurück und ließ offen, ob er damit sein Alter oder São Gabriel da Cachoeira meinte. Dylan näselte noch immer, und Finch spürte die angenehm kühle Luft, die aus dem Wagen kam. »Sind Sie stehen geblieben, um mir Komplimente zu machen?«
    Ihr kehliges Lachen ließ alle Alarmglocken bei ihm läuten. »Nein, Sie sind nicht mein Typ, Senhor Finch. Ich soll Sie finden und an einen Ort bringen, der nicht weit von hier ist, ein Stück nordwärts, rund sieben Kilometer, mitten im Urwald. Mein Arbeitgeber möchte Sie sprechen, und das allein ist bemerkenswert. Er hat in den letzten zehn Jahren nur mit einem Dutzend Menschen geredet. Davor mit überhaupt niemandem hier in der Gegend.«
    »Warum sollte er dann ausgerechnet Sehnsucht nach einer Unterhaltung mit mir verspüren?«, fragte Finch und unterdrückte das Bedürfnis, sich einfach umzudrehen und weiterzugehen.
    »Das soll er Ihnen besser selbst sagen, er ist da etwas eigen«, lächelte die Frau und machte eine einladende Handbewegung in Richtung des Beifahrersitzes. »Steigen Sie bitte ein, ich bringe Sie zu ihm. Es wird nicht lange dauern.«
    Finch glaubte, ein Zögern in ihrer Stimme zu hören, und seine Entscheidung stand fest. »Sie kennen mich, aber ich habe keine Ahnung, wer Sie sind und wer Ihr Auftraggeber ist. Richten Sie ihm aus, ich bin nicht interessiert, woran immer es ist. Wie sagten Sie so richtig? Ich bin älter, als Sie dachten, und ich bin deshalb so alt geworden, weil ich Angebote dieser Art zur rechten Zeit abgelehnt habe.« Er tippte mit zwei Fingern an seine ölige Stirn und nickte ihr zu. Dann drehte er sich um und

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