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Falsch

Falsch

Titel: Falsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
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wollte einfach davongehen, da holte ihre spöttische Stimme ihn ein.
    »Sie lügen, Senhor Finch, und das wissen Sie. John Finch, geboren in Crawley, England, aufgewachsen in der Luft. Ihr Vater Martin war ein Fliegerass im Zweiten Weltkrieg, und Sie haben am Steuerknüppel gesessen und sind geflogen, als andere Kinder gerade mal Dreirad fahren konnten. Anfang der sechziger Jahre gingen Sie als junger Pilot nach Nordafrika. Was die Fremdenlegion auf dem Boden war, waren Sie in den Wolken. Sie sind für alle und jeden geflogen, der genug bezahlte und das Glück hatte, Sie auf dem Erdboden zu erwischen. Sie waren fast immer in der Luft, flogen durch Wüstenstürme und Bürgerkriege, in der Dunkelheit über Grenzen oder schlüpften unter dem feindlichen Radar hindurch. Sie flogen Goldbarren aus Südafrika, Sklaven aus Nigeria oder Diamanten aus den Minen von Botswana, schafften Soldaten nach Äthiopien und holten Söldner aus den schwarzafrikanischen Krisenherden heraus. Man hat Sie in Dollar oder ägyptischen Pfund bezahlt und manchmal auch mit Taschen voller Maria-Theresien-Taler. Sie waren überall und doch nirgends zu Hause. Sie waren ihr Leben lang ein Abenteurer.«
    Finch hatte sich nicht umgedreht. Er blickte die Avenida Eduardo Gomez hinauf und sah doch tief in seine Vergangenheit.
    »John Finch war eine Legende zwischen Casablanca und Kapstadt, zwischen Daressalam und Nairobi und doch – eines Tages war er verschwunden. Spurlos. Grundlos?«
    Finch machte ihr nicht die Freude zu antworten.
    »Während Ihr Ruf in Afrika langsam verhallte, gingen Sie nach Südamerika. Ein neues Leben? Wie auch immer, vor zwei Jahren kamen Sie nach São Gabriel und eröffneten ein privates Flugunternehmen. Bizair. Ein Mann, ein Flugzeug, so gut wie keine Aufträge. Kommen Sie jetzt mit mir?«
    Fast sah es so aus, als hätte er sie nicht gehört. Finch stand da, die öligen Hände in den ausgeleierten Jeans vergraben und den Kopf mit den grauen, kurzen Haaren schräg gelegt, als lauschte er alten Geschichten, die der Wind über den Rio Negro wehte. Dann nickte er langsam, wandte sich um und lehnte sich zum Fenster des schwarzen Geländewagens hinein, bis sein Gesicht nur mehr Zentimeter von ihrer Sonnenbrille entfernt war.
    Sie wich nicht zurück. Er roch ihr Parfum.
    »Es gibt ein altes arabisches Sprichwort«, sagte er leise. »Wer die Wahrheit spricht, sollte besser einen Fuß im Steigbügel haben.«
    Sie nahm ihre Brille ab, und John blickte in zwei kohlrabenschwarze Augen, die ihn nachdenklich anschauten. »Vielleicht sind Sie doch mein Typ«, gab sie ernst zurück.
    Als er einstieg, gab sie wortlos Gas und beschleunigte den schweren Hummer die staubige Straße den Hügel hinauf.

Armenviertel La Cruz,
Medellín/Kolumbien
    Alfredo und Vincente hatten gegessen, ein paar Bier getrunken und sich dabei von einer jener Fernsehshows berieseln lassen, die weltweit für die seichte Unterhaltung sorgen und deshalb so erfolgreich sind. Nun trug der Junge die Teller und Gläser in die Küche und begann abzuspülen, während Alfredo sich zurücklehnte und rülpste.
    Die braunweiße Taube trippelte noch immer auf dem Fensterbrett und schaute ihn an.
    Erst hatte er es lustig gefunden und es sich nicht erklären können. Dann hatte er versucht, sie zu verscheuchen, aber die Taube war nach einem kleinen Rundflug immer wieder zurückgekehrt. Schließlich nervte es ihn nur mehr, und nun war er versucht, den Vogel einfach mit einem Schuss von der Fensterbank zu fegen, um Ruhe zu haben. Doch genau in diesem Augenblick kam Vincente aus der Küche mit einem kleinen Teller Brotreste und einem Schüsselchen voll Wasser. Beides stellte er vorsichtig vor die aufgeregt gurrende Taube, die keine Angst vor ihm zu haben schien. Sie begann sofort, mit ihrem Schnabel in den Brotkrumen zu picken.
    Der Junge blieb lächelnd stehen und sah ihr zu, betrachtete sie aufmerksam, strich ihr sogar übers Gefieder. Plötzlich stutzte er und machte Alfredo aufgeregte Zeichen. Der Sicario stand seufzend auf und trat neben Vincente ans Fenster. Aus Gewohnheit warf er einen Kontrollblick hinunter auf die Straße, als er die Hand des Jungen auf seinem Unterarm spürte.
    »Was ist so Besonderes an dem Vogel?«, wunderte sich Alfredo, und sein Blick folgte dem ausgestreckten Finger Vincentes. Dann sah er es. Der Taube war etwas an ihrem Bein befestigt worden, etwas, das wie ein zusammengerolltes Stück Papier aussah.
    »Hmm … schau an, eine Brieftaube«, murmelte Alfredo.

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