Falsch
wachte. Was konnte es sein? Ein Berg falscher Pfundnoten in einem Schließfach? Das wäre Schnee von gestern. Warum ist uns seit Bogotá jemand auf den Fersen, der alles daran setzt, den Club der alten Gauner, wie Georg es nannte, endgültig auszuradieren? Aus Rache an ein paar Greisen, die keine Bedeutung für die Gegenwart haben? Franz Gruber starb bereits vor Jahren, Klausner saß halb gelähmt im Rollstuhl, Böttcher alias Botero schwankte zwischen Wahn und Realität, und Paul Hoffmann lebte irgendwo am Rand der Zivilisation von der Hand in den Mund. Also – das Problem hätte sich in wenigen Jahren von selbst erledigt, auf dem nächsten Friedhof. Kein Grund, da nachzuhelfen.«
Alfredo hörte aufmerksam zu und trommelte mit den Fingern auf den Tisch. »Angenommen, das Geheimnis hat nichts mit dem zu tun, was dieser Japaner versucht hat, uns zu verkaufen. Nichts mit Claessen, mit den Pfundnoten, mit den Fälschern. Was dann?«
»Dann sind wir wieder am Beginn angelangt, genauso gescheit wie vorher.« Finch zuckte resigniert mit den Schultern. »Allerdings musst du mir dann auch noch erklären, woher der Ehrenring kommt. Claessen muss mit der Geschichte irgendetwas zu tun haben, sonst hätte Hoffmann seiner Taube den Ring nicht an den Fuß gebunden. Der geschriebene Hinweis brachte uns hierher in die Schweiz. Wir haben keine Ahnung, wofür wir den Ring oder den Schlüssel noch brauchen werden. Aber möglicherweise steht Himmlers Schmuckstück für ganz etwas anderes, als wir annehmen.«
»Das glaubst du doch selbst nicht«, wandte Fiona ein. »Es ist nett von dir, uns aufmuntern zu wollen, doch die Wahrscheinlichkeit und der Japaner erzählen eine ganz andere Geschichte. Und weißt du was, John? Sie klingt verdammt plausibel.«
10. April 1945,
Schloss Labers, Meran, Südtirol/Italien
Heinz Claessen sah sich noch einmal zufrieden in seinem Büro um. Mit raschem Blick kontrollierte er die Ordner. Nichtigkeiten, Unverdächtiges, Nebensächlichkeiten auf Papier. Die wichtigsten Unterlagen hatte er in zwei Kartons verschnürt, alle übrigen relevanten oder geheimen Papiere waren den Flammen eines kleinen Feuers im Hof zum Opfer gefallen.
Der Obersturmbannführer hatte zwei große Koffer gepackt und sich überzeugt, dass sein Wagen vollgetankt war. Dann hatte er alle Mitarbeiter mit genauen Anweisungen entlassen und sie auf den Weg geschickt.
Jetzt galt es auch für ihn, durch das Armageddon zu kommen, auf die andere Seite des Krieges. Denn das Ende der Kämpfe war nah, daran zweifelte Claessen keinen Augenblick.
Sehr nah.
Es war ruhig geworden im Schloss, als einer nach dem anderen Labers verlassen hatten. Am frühen Abend war der Kurier pünktlich aus Verona zurückgekehrt. Er stand neben Claessen, als das Klingeln des Telefons durch die Stille des Abends wie ein Messer durch eine japanische Papierwand schnitt.
»Warten Sie noch einen Moment, ich muss überlegen«, sagte Claessen. Nach dem sechsten oder siebenten Läuten nickte er dem SS -Mann zu. »Gut! Melden Sie sich unverbindlich.«
»Ja?«, sagte der Uniformierte, als er den Hörer abgenommen hatte.
Die Leitung war überraschend ruhig, nicht einmal atmosphärische Störungen waren zu hören. Niemand meldete sich. Der SS -Mann wollte schon wieder achselzuckend auflegen, als plötzlich eine Stimme erklang. Deutlich, aber gefährlich leise.
»Hier spricht Kaltenbrunner. Holen Sie Claessen an den Apparat.«
Der Uniformierte schlug unwillkürlich die Hacken zusammen. »Heil Hitler, Obergruppenführer. Hier spricht Oberscharführer Paulsen.« Er sah Claessen den Kopf schütteln. »Obersturmbannführer Claessen ist gerade im Bad und …«
»Ich will nicht wissen, was er tut, wo er ist oder weshalb, schaffen Sie ihn mir ans Telefon, von mir aus nackt oder nass, aber sofort.« Kaltenbrunner klang ungehalten, und der Uniformierte schaute Claessen entschuldigend an, hielt die Sprechmuschel zu und flüsterte: »Er will Sie unbedingt sprechen …«
Der Obersturmbannführer griff seufzend nach dem Hörer. »Hier Claessen.«
»Hier Kaltenbrunner!«
»Heil Hitler, Obergr…«
»Genug!«, unterbrach ihn Kaltenbrunner ungehalten. »Ich möchte wissen, warum ich seit zwei Monaten nichts mehr von Ihnen gehört habe, Claessen! Keine Abrechnungen, keine Berichte, nichts!«
»Nun, Obergruppenführer, wie Sie wissen, hat General Reinke meine Berichte stets erhalten und weitergeleitet. Ich habe keine Ahnung, warum das in letzter Zeit nicht mehr geschehen ist.«
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