Falsch
für die Schweiz waren.«
Leblanc hatte den Kopf schräg gelegt, um besser zu hören, und nickte schließlich langsam. »Ja, das ist richtig, auch wenn es wie eine Ewigkeit her scheint. Wissen Sie, ich habe nie geheiratet, das Hotel war mein Leben. Nicht irgendeines, das Beau Rivage, einzig und allein. Da habe ich begonnen, und da bin ich auch in Pension gegangen. Das können sich die jungen Leute heute gar nicht mehr vorstellen, nein, das können sie nicht …«
»Wie war die Welt der Grandhotels damals?«, wollte Georg wissen und stieß Finch unter dem Tisch an.
»Aufregend und elitär«, antwortete der alte Leblanc nach einem Moment des Nachdenkens und verschränkte die Hände in seinem Schoß. »Damals, als das Beau Rivage und später das Palace erbaut wurden, gab es noch keine Klassifizierung nach Sternen. In dieser Blütezeit in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war ein Grand Hotel ein Haus mit gehobenem Komfort wie fließendem Wasser oder Telefon und dem großzügigen Ambiente der Belle Époque. Manches erscheint uns heute ganz selbstverständlich und war doch damals Luxus pur. Ein Grandhotel war ein Laufsteg der Eitelkeiten, ein Palast auf Zeit für die, die ihn sich leisten konnten. Das machte auch das Publikum aus, das sich zur Jahrhundertwende etwa im Hotel de Paris oder im Adlon in Berlin nicht wesentlich von dem des Beau Rivage unterschied. Von den langen Arbeitszeiten der Angestellten, den harten Bedingungen in der Küche oder den schlechten Quartieren im Personaltrakt merkte der Gast nichts. Und das war gut so, ja, das war es.«
Leblanc fuhr sich mit der flachen Hand über den Kopf und kontrollierte, ob nach alle Haare an ihrem Platz waren. »Wir lebten die Illusion, nein, wir waren Teil davon.« Er nickte ein paarmal, blickte auf seine Hände und sah Finch dann entschuldigend an. »Aber ich möchte Sie nicht langweilen, Sie haben sicher nicht so viel Zeit, um einem alten Mann lange zuzuhören.«
»Erinnern Sie sich noch an Ihre ersten Jahre im Beau Rivage, an die Zeit des Zweiten Weltkriegs?«, erkundigte sich der Pilot vorsichtig.
»Selbstverständlich«, bestätigte Leblanc. »Es war natürlich keine leichte Zeit für das Hotelmanagement, da zu der Zeit gute Lebensmittel, die eine internationale Klientel gewohnt war, nur schwer zu bekommen waren. Das Adlon überlebte den Krieg dank des berühmten Weinkellers, in Berlin gab es ja fast nichts mehr zu essen damals. Hier war es nicht ganz so schlimm, aber es war sehr, sehr schwierig, für zahlende Gäste – und die Zimmer waren auch damals teuer – ein angemessenes Niveau zu bieten. Alle Preise explodierten, obwohl die Schweiz ja nicht am Krieg teilnahm. Aber der Nachschub war ein riesiges Problem. Allein die Heizkosten …« Leblanc winkte ab. »Trotzdem wurden in der Grande Salle Diners gefeiert, gab es Stammgäste, Durchreisende und einige Zechpreller.« Er lächelte still. »Aber die gab es wohl überall, ja, wohl überall. Vergessen Sie nicht, jedes Grandhotel war auch eine Bühne zur Selbstinszenierung, eine elegante Wunschwelt, eine einzigartige Möglichkeit, seinen Wohlstand zu zeigen.« Der alte Mann zwinkerte Finch zu. »Daran hat sich wahrscheinlich nicht viel geändert, nein, wahrscheinlich nicht.«
»Haben Sie sich im Haus gut ausgekannt?«, wollte Georg wissen.
»Hmm … nicht so gut wie der Hausmeister, aber nach vierzig Jahren in einem Hotel kennt man die meisten Winkel und Ecken, selbst wenn es groß ist«, schmunzelte Leblanc. »Jetzt, nach der Renovierung allerdings, würde ich sicher vieles nicht wiedererkennen. Aber das ist der Lauf der Zeit, ja, ja …« Der alte Mann verstummte, und Georg konnte die Wehmut aus seinen Worten heraushören.
Finch beschloss, Leblanc reinen Wein einzuschenken. »Wenn jemand von einer Rose im Untergrund sprechen würde, am Fuß eines Pfeilers, würde Ihnen das etwas sagen?«
Der alte Mann runzelte die Stirn. »Sprechen Sie vom Beau Rivage?«, fragte er nach.
Finch nickte nur. Leblanc wandte sich zu ihm und blickte ihm direkt in die Augen. »Ist es das, worum es geht?«
Der Pilot nickte erneut.
Der alte Mann schloss die Augen und schien in alten Erinnerungen zu kramen. »Rose …«, murmelte er, »im Untergrund … im Haus sicher nicht, weder im Keller des Beau Rivage noch im Palace. Nein, nicht dass ich wüsste …«
Georg ließ entmutigt die Schultern sinken und lehnte sich zurück. Sie waren wieder am falschen Platz. Diese Suche war wie ein Labyrinth, und niemand schien
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