Falsch
könntest, was du hinter dem Ziffernblatt gesehen hast. Wir sind ziemlich verzweifelt, musst du wissen, weil wir eine Liste brauchen, die leider verbrannt ist und die wir nicht mehr rekonstruieren können.«
»Meinen Sie die im Wachspapier?«, fragte Francesca unvermittelt.
Finch nickte stumm.
Llewellyn schloss die Augen und flüsterte die ersten Zeilen eines alten walisischen Gebets.
Francesca sah Bernadette etwas unsicher an. »Ich weiß nicht, ob ich das sagen soll …«, setzte sie an, aber Bernadette nickte ihr ermutigend zu.
»Ich habe mir immer vorgestellt, es sei eine geheime Botschaft an die Kaiserin gewesen«, fuhr das junge Mädchen fort. »Aber ich war mir nicht sicher, ob es in Ordnung war, eine private Nachricht zu lesen. Hundert Zahlen und dahinter einhundert Worte. Ganz schön schräg.«
Bernadette lächelte Francesca zu und gab allen anderen ein Zeichen, still zu sein. Dann erhob sie sich vom Sofa und setzte sich vor dem jungen Mädchen im Lehnstuhl auf den Boden. »Und wie ich dich kenne, weißt du alle Nummern und Worte auswendig. Stimmt’s?«
Francesca sah Bernadette unsicher an. »Das gehört sich nicht«, flüsterte sie.
»Ach wo, wir sind froh, dass du sie noch weißt!«, wehrte die junge Frau ab. »Glaub mir, du würdest uns damit sehr helfen.«
»Ehrlich?«, fragte Francesca nach, und ihre Miene hellte sich auf. »Kein Problem. 04459123 – Westwall, 04457689 – Irrlicht, 04456546 – Rechteck …«
Ohne einen Augenblick zu zögern, sagte Francesca die hundert Kontonummern mit den dazugehörigen Kennworten auf wie andere Schüler ein Gedicht von Goethe. Alle waren sprachlos vor Erstaunen. Nur das junge Mädchen lächelte unbefangen, als sei dies die kleinstmögliche und einfachste Aufgabe für sie.
»Das ist unglaublich«, gestand Fiona kopfschüttelnd. »Vielen Dank, Francesca, für deine Mühe und für deine Erinnerung! Du bist unsere letzte Rettung.«
Das junge Mädchen zuckte mit den Schultern. »Kein Problem.«
»Wir haben gehört, dass die ersten Buchstaben von oben nach unten gelesen eine Nachricht ergeben, eine Art Vermächtnis«, versuchte es Llewellyn. »Könntest du vielleicht …?«
Francesca hob ihre Hand und unterbrach den Major lächelnd. Dann schloss sie die Augen. »Kein Problem, Moment. Hier kommt der Text:
Wir vermachen das Geld einer Stiftung zum Zweck, jüdischen Menschen in Not in aller Welt zu helfen. Shalom. JC rämer Zürich. «
Der Major schüttelte den Kopf und sah Francesca bewundernd an. »Solltest du später einmal einen Job benötigen, dann ruf mich an. Ich kenne Leute, die würden dich in Gold aufwiegen.«
Francesca lachte mit blitzenden Augen, und Bernadette winkte ab. »Jetzt wollen wir erst mal daran arbeiten, die Schule abzuschließen, bevor wir an Goldbarren und eine Karriere im englischen Geheimdienst denken.«
»Ist es nicht seltsam?«, murmelte Fiona, »Shalom, der Davidstern, das Vermächtnis. Wisst ihr, was ich langsam glaube? Mein Großvater und seine Freunde, die vier alten Männer, waren Juden. Und J. Crämer war das Bankhaus in Zürich, dem sie ihr Geld anvertrauten.«
»Die sechzig Millionen? Auf einhundert Konten verteilt?«, wunderte sich Alfredo.
»Ja, klar«, bestätigte Finch, »ziemlich logisch. Ein Konto und ein Passwort merkt man sich leicht, vielleicht auch noch zwei oder drei. Aber einhundert? Dazu braucht man die Liste.«
»Außer man heißt Francesca und hat das perfekte Gedächtnis«, erinnerte ihn Bernadette.
Vincente gab dem jungen Mädchen stolz ein Zeichen mit seinem erhobenen Daumen.
»Was machen wir jetzt?«, erkundigte sich Fiona.
»Wir setzen eine Liste der Kontonummern auf, aber ohne Passwörter«, schlug Finch vor und der Major nickte. »Die sind bei Francesca besser aufgehoben. Und morgen früh fahren wir nach Zürich. Wenn es dieses Bankhaus noch immer geben sollte, was ich hoffe, dann werden die aus allen Wolken fallen und mit ihnen das Konsortium. Denn morgen ist Zahltag. Es wird höchste Zeit, das Vermächtnis der alten Männer in die Tat umzusetzen.«
Bankhaus Julius Crämer,
Bahnhofstraße, Zürich/Schweiz
Das große Büro in der Züricher Bahnhofstraße bot nicht genügend Sitzplätze für alle Besucher an diesem Vormittag. Direktor Serge Crämer machte sich erbötig, noch mehr Stühle holen zu lassen, aber Alfredo, Chris, Vincente und Llewellyn winkten ab und blieben stehen. So saßen Bernadette, Francesca, Finch und Fiona aufgereiht vor dem Schreibtisch des adrett gekleideten
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