Falsch
Töne, die aus dem Telefon drangen, waren nur unverständliche Laute.
Alfredo fluchte. Da rief ihn jemand an, und dann konnte er ihn nicht verstehen! Er versuchte, ins Telefon zu schreien, aber es kam nur ein Röcheln aus seiner Kehle. Tränen der Verzweiflung rannen ihm über die Wangen. Er würde also doch hier sterben, am Fuße des Kreuzes.
Der Anrufer verdoppelte seine Bemühungen, zumindest was die Lautstärke betraf. Alfredo kämpfte mit einer dunklen Wand, die ihn zu erdrücken schien. Oder war es die Nacht, die über ihn fiel wie ein Tuch und sich zuzog?
Die Bewusstlosigkeit kam zurück, der Schmerz gewann die Oberhand, und Alfredo spürte, wie das Blut aus seiner Wunde strömte und die Kräfte ihn langsam verließen.
Aber diese Stimme aus dem Handy … Fordernd und doch unverständlich. Der Sicario stemmte sich gegen die neuerliche Ohnmacht mit aller Kraft, die ihm noch verblieben war. Er klammerte sich an die Laute aus dem Handy wie an einen Strohhalm. Langsam dämmerte es ihm. Er kramte in seiner Erinnerung. Er erkannte den Anrufer, die Stimme, den Tonfall …
Vincente.
Alfredo drängte die Dunkelheit zurück. » Hola Vincente«, flüsterte er und war erstaunt, dass seine Stimmbänder wieder funktionierten. Aufgeregtes Schreien auf der anderen Seite war die Folge. Der Sicario lächelte, auch wenn es kläglich misslang und in einer schmerzverzerrten Grimasse endete.
»Hör gut zu, ich weiß nicht, wie lange ich noch bei Bewusstsein bin«, murmelte Alfredo. »Ich liege auf dem Dach des Turms der Kirche Nostra Señora de Fatima, in der Nähe des Cerro Nutibara.« Er atmete schwer.
Kein Laut vom anderen Ende der Leitung. War Vincente noch da? Der Sicario sandte ein stilles Gebet zum Himmel.
»Sie haben mich angeschossen, aber ich bin ihnen entwischt. Hol mich hier runter, wenn du kannst, sonst mach ich’s nicht mehr lange …«
Er wartete erneut auf eine Antwort, aber es kam keine. Hatte Vincente ihn verstanden? Alfredo ließ das Handy sinken und gab erschöpft den Kampf gegen die Ohnmacht auf. Die Dunkelheit kam rasend schnell und deckte gnädig alles zu. Schmerz und Euphorie, Hoffnung und Verzweiflung. Sein Blut tränkte den Boden am Fuße des großen Kreuzes aus Metall.
Der Sicario spürte es nicht mehr.
Der Mann, der sich über ihn beugte, war ein Unbekannter, dessen Gesicht in leuchtendem Weiß zu schweben schien, umgeben von einem Strahlenkranz. Ein gütiges Gesicht, voller Falten und Fältchen, wie zerknittertes und wieder glatt gestrichenes Seidenpapier.
War das Gott?
Alfredo betrachtete ihn aufmerksam und versuchte, sich an die Erzählungen seiner Mutter zu erinnern. Geschichten von eleganten, leuchtend weißen Engeln, von einem weit offenen Himmel und einem Paradies voller Zufriedenheit und endlosem Genuss. Und, nicht zu vergessen, von einem nachsichtigen Gott, der keineswegs so zornig und unnahbar war, wie Alfredo ihn später kennenlernte. Nämlich immer dann, wenn er in der Kirche saß und zu ihm betete, nach den Jobs.
Zuerst hatte Gott noch mit ihm gesprochen. Manchmal wütend, vorwurfsvoll. Dann war sein Gebet zu einem Monolog geworden.
Schließlich kam es Alfredo so vor, als ob Gott kein Wort mehr an ihn verlor.
Vielleicht hörte er ihm auch gar nicht mehr zu. Oder der Gott seiner Mutter war einfach ein anderer Gott.
Er sah ihr Gesicht, das aus dem Nebel der Erinnerung auftauchte und wieder verschwand. Die Züge waren verschwommen, es war so lange her, seit er sie zum letzten Mal gesehen hatte. Alfredo wollte weinen, aber er war ja tot.
Und Tote weinen nicht, sagte er sich.
Dann kam wieder Gott in sein Blickfeld, mit seinen ernsten Augen, und Alfredo fühlte einen stechenden Schmerz. Einen Schmerz? Empfand man Schmerzen, wenn man tot war? Während Alfredo noch grübelte und versuchte, durch die Watteschichten seiner Gedanken zu dringen, übermannte ihn eine große Ruhe. Er entspannte sich und verspürte ein Glücksgefühl, das er vorher noch nie gekannt hatte.
Vielleicht war tot sein doch gar nicht so schlecht …
»Ich habe ihm noch eine Morphium-Spritze gegeben, dazu ein Schlafmittel«, erklärte der Arzt und gähnte laut. »Mehr kann ich nicht mehr für ihn machen. Die Wunde ist versorgt, das bereitet mir keine Sorgen. Er ist jung und hat eine eiserne Konstitution. Aber er hat viel Blut verloren. Eigentlich sollten wir ihn zur Transfusion in ein Spital bringen …«
Vincente, der neben ihm stand und aufmerksam zuhörte, schüttelte nur energisch den Kopf.
Der Arzt mit
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