Falsch
restliches Leben damit verbringen, sehnsüchtig über den Atlantik zu schauen und einem Leben nachzutrauern, das Sie hier vermissen? Mit fünf Millionen können Sie in Marrakesch ein Hotel eröffnen und Ihren Gästen so nebenbei Flüge in die Wüste anbieten.«
Finch zog die Tür des Hummers zu und lehnte sich in die Polster zurück. »Eine reizvolle Idee«, lächelte er. »Und wenn es schiefgeht?«
»Dann behält mein Großvater recht, und Sie haben einen stilvollen Abgang«, erwiderte die junge Frau ungerührt. »Sie können mir ja immer noch die Millionen vermachen …«
»Überredet«, gab er lachend zu. »Verschwinden wir von hier.« Finch griff in seine Hosentasche und zog eine Münze hervor. »Ein Silberdollar von 1844«, erklärte er Fiona, die ihn verwundert anschaute. »Lassen wir ihn entscheiden, wo wir anfangen, Medellín oder Bogotá.«
»Kopf – Medellín«, sagte sie.
»Adler – Bogotá«, ergänzte er und warf die Münze.
Armenviertel La Cruz,
Medellín/Kolumbien
»Wie bist du noch mal genau an diesen Zettel gekommen?«, fragte Señor Botero misstrauisch, nachdem er wohl zum zehnten Mal die kleine Notiz überflogen hatte. Vincente war es nicht leichtgefallen, das Original mit der blassblauen Tinte herauszugeben, aber er wollte eine Auskunft von dem alten Mann, also musste er wohl einwilligen.
Er war froh, dem skurrilen Haus entkommen zu sein. Nun saß er gemeinsam mit Botero, der sich einen weiteren Kaffee eingeschenkt hatte, auf den Stühlen im Garten zwischen Orchideen, die in allen Farben leuchteten. Die rot getigerte Katze ließ sich genussvoll von Vincente kraulen und schnurrte. Hinter einer grünen Wand aus Büschen und Blattwerk schien die Stadt ganz weit weg, Vom Lärm Medellíns war so gut wie nichts zu hören.
Nach dem Durchlesen der Zeilen, die Vincente eilig aufs Papier geworfen hatte, war der alte Mann seltsam wortkarg geworden. In Gedanken verloren hatte er aus dem Fenster geblickt, und es kam Vincente so vor, als hätten die Hände von Botero angefangen zu zittern.
Dann hatte er von seinem Besucher den kleinen Zettel verlangt.
»Du hast also eine Brieftaube auf dem Fensterbrett gefunden«, begann Botero, »dem Fensterbrett der Wohnung deines Freundes Alfredo. Wo ist sie jetzt?«
Vincente zuckte mit den Schultern und machte eine fliegende Bewegung mit den Händen.
»Du meinst, sie ist weggeflogen? Hmmm …« Der alte Mann versank wieder in die Betrachtung des kleinen Papierstücks. »Und jetzt möchtest du wissen, für wen diese Nachricht bestimmt war? Wer vor Alfredo in der Wohnung gewohnt hat? Oder davor? Wer weiß …«, meinte Botero schließlich. »Es kann ja auch einer der Bewohner davor gewesen sein, der bereits länger nicht mehr hier wohnt.«
Vincente nickte langsam. Das hatte er nicht bedacht.
Der Papagei auf Boteros Schulter ließ ihn nicht aus den Augen.
»Warum möchtest du ihn finden?«
Die Frage traf Vincente unvorbereitet und riss ihn aus seinen Gedanken. Ja, warum eigentlich? Er nahm das weiße Blatt Papier vom Tisch, strich es mit der flachen Hand glatt und schrieb darauf: »Ich will dem alten Mann helfen, die Schuld einzufordern, wenn er noch lebt.« Er zögerte. Dann schrieb er daneben: »Und aus Neugier.«
Das war das erste Mal, dass Vincente Botero lächeln sah. »Das klingt ehrlich, Buccaneer«, sagte er. »Wie heißt du eigentlich?«
Der Junge schrieb seinen Namen auf das Blatt. Vincente Cortés.
»Cortés? Du hast einen berühmten Namen.« Als sein Gegenüber ihn fragend ansah, stand der alte Mann auf und verschwand kurz im Haus. Vincente überlegte, ob er die Gelegenheit nicht nützen, weglaufen und alles einfach vergessen sollte. Doch da kam Botero auch schon wieder zurück und legte ein aufgeschlagenes Buch auf den Tisch. Er tippte mit dem Zeigefinger auf ein großes Bild, das Foto eines zeitgenössischen Gemäldes, auf dem ein Mann stolz und ein wenig überheblich auf den Betrachter blickte. Er trug eine Art Uniform mit Stehkragen und weichem Hut, an dem eine Feder prangte.
»Hernán Cortés, geboren in Medellín, allerdings in der spanischen Provinz Extremadura«, erklärte Botero. »Er war ein spanischer Konquistador, der im Auftrag seines Königs die Azteken besiegte und die Legende vom unerschöpflichen Gold in den Ländern Amerikas begründete. Ohne ihn hätte es wahrscheinlich nicht so viele Piraten in der Karibischen See gegeben.«
Der Papagei auf seiner Schulter schien nur auf das Stichwort gewartet zu haben. »Ladet die
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