Falsch
zu Boden.
»Und jetzt rennt um euer Leben, solange ich noch in einer großzügigen Stimmung bin«, donnerte Böttcher. »Und ich will euch Gesindel nie wieder in meinem Leben sehen, sonst filettiere ich euch bei lebendigem Leib.«
Ohne einen weiteren Augenblick nachzudenken, stürmten die beiden los, Panik in den Augen. Sekunden später waren sie zwischen den parkenden Autos verschwunden. Sie riskierten keinen einzigen Blick zurück.
Finch hob die Waffen auf und bedeutete Vincente und Alfredo, rasch in den Wagen zu steigen. Dann klopfte er Böttcher, der gewissenhaft die Hähne seiner Pistolen wieder entspannte, bevor er sie seelenruhig in den Gürtel steckte, anerkennend auf die Schulter. »Lassen Sie mich nicht vergessen, dass ich niemals zwischen Ihnen und Ihrem Ziel stehe. Diese Kaliber machen bestimmt Löcher so groß wie ein Fenster.«
Der alte Mann lächelte nur still, drehte sich wortlos um und stieg in den Wagen.
»Nächster Halt Flughafen«, verkündete Finch und schwang sich auf den Beifahrersitz.
Fiona erholte sich gerade von ihrer Überraschung und ließ die Beretta wieder sinken. Sie hätte Böttcher die Schnelligkeit und Kaltblütigkeit nicht zugetraut. »So kann man sich irren«, murmelte sie kopfschüttelnd. »Man sollte alte Männer nie unterschätzen.« Während sie den BMW startete, sah sie Finch über ihre Sonnenbrille hinweg alarmiert an. »Die Zahl unserer Passagiere ohne Ausweis wächst rapide …«
»Ich weiß und ich arbeite daran«, erwiderte der Pilot. »Wunder dauern etwas länger, auch bei mir.«
Als er in den Spiegel der Sonnenblende schaute, sah er Alfredo, der verblüfft auf den alten Piraten und seinen Papagei blickte. Dann sagte der Sicario nur ein Wort: »Danke.«
15. November 1917,
Bahnstrecke Frankfurt–Basel/Deutsches Reich
Die Landschaft des Oberrheins zog gleichmäßig an den Fenstern des Schnellzugs vorbei, als sei nichts gewesen. Der Waggon schaukelte über die Weichen eines kleinen Bahnhofs, und Samuel Kronstein schien tief in Gedanken versunken. Es dauerte mehr als fünf Minuten, bevor Pjotr Solowjov sich dazu durchringen konnte, ihn zu stören.
»Es tut mir leid, Exzellenz, und ich möchte mich für den schändlichen Verrat meiner drei Gefährten bei Ihnen entschuldigen«, meinte er niedergeschlagen. »Ich hätte nie vermutet …«
»Schon gut, mein idealistischer Freund«, unterbrach ihn Kronstein nachsichtig lächelnd. »Sie müssen noch viel lernen. Ich hoffe nur für Sie, dass solche Taten und Gesinnungen nicht symptomatisch für die Umstürze in unserer Heimat sind. Ich werde nicht mehr nach St. Petersburg zurückkehren, Sie aber werden mit der neuen Generation von Revolutionären leben müssen.«
Solowjov sah den alten Mann ratlos an. »Ja, aber Sie haben doch …«
»… eine Erfahrung mehr gemacht?«, warf Kronstein ein. »Ja, ohne Zweifel. Hätten Sie jedoch erlebt, was unsere Familie seit mehreren hundert Jahren in Russland durchgemacht hat, dann wären Sie auch auf alles vorbereitet, glauben Sie mir.« Er sah Solowjov mit einem ironischen Augenzwinkern an. »Mein Stock wird mir fehlen, ich werde mir wohl einen neuen machen lassen müssen, wenn wir angekommen sind. Merken Sie sich eines, Pjotr. Vertrauen Sie niemandem, hinterfragen Sie alles, glauben Sie nichts.« Der alte Mann hob den Zeigefinger. »Denn nichts ist so, wie es scheint.«
Verstehen dämmerte in den Augen des jungen Russen. »Sie hatten die Steine gar nicht mehr in Ihrem Stock, Exzellenz. Gehe ich recht in der Annahme?« Er nickte mehrmals. »Natürlich, wieso kam ich nicht gleich auf den Gedanken? Sie sind stets auf alles vorbereitet, nicht wahr?«
Die schwere Schnellzuglokomotive der preußischen Staatseisenbahnen beschleunigte den Zug wieder auf Reisegeschwindigkeit. Die Abteiltür öffnete sich, und ein Zugbegleiter steckte den Kopf herein. »Nächster Halt ist Freiburg im Breisgau, meine Herren«, verkündete er, dann waren Solowjov und Kronstein wieder allein.
»Das Leben ist wie ein Schachspiel gegen einen unbekannten Gegner«, stellte der alte Mann fest und beobachtete, wie die Gebäude eines kleinen Bahnhofs am Fenster vorbeiflogen. »Man kann einige Spielzüge im Vorhinein planen, ahnen und hoffen, vieles überlegen, und doch wird man immer wieder überrascht. Aber je besser man in dem Spiel wird, umso geringer wird die Zahl der Überraschungen. Sicherlich einer der Vorteile, die das Älterwerden mit sich bringt.«
»Das heißt, die drei haben nun einen leeren
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