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Falsch

Falsch

Titel: Falsch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerd Schilddorfer
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Spazierstock in den Händen«, meinte Solowjov und seine Miene hellte sich auf.
    »Bald werden sie darauf kommen, dass sie keinesfalls reich sind, sondern gestrandet in einem fremden Land, ohne Geld und Unterstützung«, ergänzte Kronstein. »Sie werden sich zornig fragen, wohin meine Reise geht, aber ich habe es ihnen nie verraten. So haben sie keine Ahnung, wohin sie sich wenden sollen. Früher oder später werden sie aufgegriffen werden und, wenn sie Pech haben, als Spione erschossen. Die Deutschen sind im Moment nicht sehr gut auf Russen zu sprechen.«
    »Ich bewundere Ihre Weitsicht und Konsequenz, Exzellenz«, gab der junge Russe zu, »aber Sie haben vergessen, dass jeder der drei im Besitz eines Diamanten ist. Die Steine sollten die Kosten der Rückkehr nach Russland mehr als decken.«
    Unbeirrt griff Kronstein in seine Rocktasche und zog drei Diamanten hervor. »Meinen Sie diese Steine, Pjotr?«, fragte er verschmitzt. »Vergessen Sie nicht, wir haben eine Nacht im Hotel verbracht, und das Personal ist, wie überall, so auch in Lübeck käuflich. Zimmermädchen, Diener, Pagen – sie alle haben die Zweitschlüssel zu den Zimmern.«
    Instinktiv griff Solowjov an seine Brusttasche.
    Kronstein lachte. »Nein, nein, keine Angst, Ihr Stein ist noch da, wo Sie ihn verborgen haben. Ich kann mich auf meine Menschenkenntnis verlassen, sie hat mich in all den Jahren nie in die Irre geführt.« Er hielt dem jungen Russen die drei Diamanten hin. »Nehmen Sie, Pjotr, sie gehören Ihnen. Ehrlichkeit und Treue müssen belohnt werden.«
    »Das kann ich nicht annehmen, Exzellenz«, wehrte Solowjov ab. »Ich habe versprochen, Sie bis an Ihr Ziel zu begleiten, dafür habe ich meinen Lohn schon erhalten. Da wir in Richtung der Schweizer Grenze unterwegs sind, nehme ich an, dass unsere Reise bald zu Ende gehen wird.«
    Kronstein nickte befriedigt. »Wenn Gott will, dann sind wir heute Abend in Basel. Machen Sie mir die Freude und leisten Sie mir noch ein paar Tage Gesellschaft. Ich möchte die Steine an einem sicheren Ort wissen, bevor ich Ihnen Adieu sage.« Er strich sich mit der flachen Hand über die Bauchbinde, die er unter seinem Hemd trug.
    »Ich halte mein Versprechen, Exzellenz«, gab Solowjov einfach zurück. »Ist die Schweiz tatsächlich unser endgültiges Ziel, oder reisen Sie weiter an die Côte d’Azur?«
    »Nein, Pjotr, ich möchte mich in Genf oder Basel niederlassen«, bestätigte Kronstein und zog seine Taschenuhr aus dem Jackett. »Die Grenzen nach Deutschland und Frankreich sind nahe, Schweizer und Russen haben bereits seit langem freundschaftliche Verbindungen aufgebaut. Vergessen Sie nicht, dass ab dem Ende des 17. Jahrhunderts bis zum heutigen Tag mehr als zwanzigtausend berufstätige Schweizer vorübergehend oder für immer ins Zarenreich auswanderten. Im Gegenzug öffnete die Schweiz nur allzu gern ihre Grenzen für russisches Kapital, adelige Touristen oder selbst Flüchtlinge, die zwischen Boden- und Genfersee Asyl suchten. Darf ich Sie an Wladimir Iljitsch Lenin erinnern?«
    Solowjov lächelte. »Erzählen Sie bitte weiter, Exzellenz, ich muss gestehen, dass ich die Schweiz bisher nur mit hohen Bergen, erstklassiger Schokolade und teurem Käse in Zusammenhang gebracht habe.«
    »Womit Sie durchaus recht haben, Pjotr«, gab Kronstein zurück. »Aber da ist noch viel mehr. Wer genauer hinsieht, der erkennt, dass neben den adligen Touristen, Kurgästen und Wahlschweizern, den politischen Emigranten und Revolutionären auch noch jede Menge russische Studierende in den vergangenen fünfzig Jahren an die Schweizer Universitäten drängten. Frauen waren an den russischen Universitäten nicht zugelassen, in der Schweiz konnten sie problemlos immatrikulieren. Dazu kommt die bekannte Asyltradition, der damit verbundene Schutz vor politischer Verfolgung und die zentrale Lage in Europa. Es gibt in der Schweiz eigene russische Kirchen, Bibliotheken, karitative Einrichtungen, Synagogen, Druckereien, außerdem noch jede Menge Zirkel und Gruppierungen. Sie sehen, ich habe mein Ziel mit Bedacht gewählt.«
    »Ich habe keinen Augenblick daran gezweifelt.« Solowjov blickte aus dem Fenster, als der Zug an einer Baustelle langsamer wurde. »Trotzdem wäre das keine Alternative für mich. Ich gehe wieder nach Russland zurück, meine Entscheidung steht fest. Aber was möchten Sie in der Schweiz machen, Exzellenz? Ihren Ruhestand genießen?«
    »Einer meiner Vorfahren hat gesagt, man sollte alle sechs Jahre etwas anderes

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