Falsch
erinnern kann, wo das Foto zur Zeit ist.« Er faltete das Bild zusammen und steckte es vorsichtig in seine Brusttasche. »Vielleicht ist es auch zwischen dem Büro des Konsuls und diesem Raum abhandengekommen? Menschen und Dinge verschwinden so schnell in Südamerika, und vor allem in Kolumbien, müssen Sie wissen …«
»Major, soll ich Sie an Ihren Diensteid erinnern?«, ereiferte sich sein Gesprächspartner.
»Nein, Sie sollten mich über meinen genauen Auftrag aufklären, das wäre schon einmal ein kolossaler Fortschritt für die Regierung Ihrer Majestät«, donnerte der Major. »Dann schaffen Sie mir diesen Schmidt vom Hals und erklären mir, warum diese alten Männer hier auf Kriegspfad sind und sich lieber die Kehle durchschneiden oder ein halbes Stadtviertel in die Luft jagen, als mit mir zu reden. Und wenn ich dann noch zuhöre, dann würde ich gern wissen, wie es nun weitergehen soll. Und falls ich bis dahin zufrieden bin, sollten Sie nicht zu erwähnen vergessen, wem das Gesicht auf dem Foto gehört. Dann – und nur dann – erinnere ich mich vielleicht wieder daran, wohin ich dieses verdammte Bild gesteckt habe!«
»Wollen Sie mich erpressen?«, fragte der Mann am anderen Ende der Leitung drohend.
»Wollen Sie mir Angst machen?«, gab Llewellyn unbeeindruckt zurück. »Dann merken Sie sich eines und bei Gott, ich werde es nur ein einziges Mal sagen. Sie reden mit einem alten Mann, der für diese Regierung, für König, Gott und Vaterland mehr als einmal die heißen Kartoffel aus dem Feuer geholt hat, an allen Ecken dieser Welt und zu einer Zeit, als unsere Konsuln noch nicht in klimatisierten Büros ihren Arsch flach saßen. Sie, Sir, waren damals vermutlich noch nicht einmal in der Volksschule und haben gerade gelernt, Dreirad zu fahren. Ich hingegen habe es verlernt, Angst zu haben. Und am Ende meines Lebens werden Sie es mir nicht mehr beibringen. Ich könnte nun ganz einfach auflegen, dieses Konsulat verlassen und in Medellín untertauchen. Oder doch vielleicht in Lima oder Rio, in Valparaiso oder Buenos Aires? Dann wünsche ich Ihnen viel Glück bei der Suche. Entweder Sie liefern mir innerhalb der nächsten fünf Minuten sehr gute Gründe, oder ich bin von Bord, kaufe mir einen neuen Pass und einen neuen Namen und verschwinde spurlos im Amazonas-Gebiet.«
Die Stille, die darauf folgte, dehnte sich wie ein Bungee-Seil. Schließlich drang ein Seufzen durch die Leitung. »Man hatte mich gewarnt. Gut, Major, was genau wollen Sie wissen?«
»Wie schon gesagt«, gab Llewellyn kurz angebunden zurück. »Sollte mir etwas unklar sein, dann frage ich nach. Und jetzt legen Sie los, mein Arm schmerzt. Und vergessen Sie das mit der sicheren Leitung. Die hatten wir zu unserer Glanzzeit auch nicht, und trotzdem klappte alles.«
Fünfzehn Minuten später starrte Llewellyn gedankenverloren auf das Bild des britischen Premierministers, der von seinem Platz über dem Schreibtisch des Konsuls auf seine Untertanen herab blickte. Der Major ließ den Telefonhörer sinken, nachdem sein Gesprächspartner in der Londoner Downing Street 10 bereits vor mehr als einer Minute aufgelegt hatte. Langsam wurde ihm klar, warum in den letzten Tagen manche Menschen lieber starben oder mit Handgranaten warfen, als mit ihm zu reden.
Sie kannten zu viele Geheimnisse.
Und sie hatten nichts mehr zu verlieren.
Flughafen El Dorado,
Bogotá/Kolumbien
»Wie ich sehe, hatten Sie Besuch von einer Taube«, stellte John Finch lakonisch fest, nachdem in dem kleinen Büro im letzten Stock des Block B einige Minuten lang völlige Stille geherrscht hatte, nur durch eine startende Maschine der Avianca unterbrochen.
Georg Gruber war leichenblass und starrte verzweifelt auf seine Hände, die flach auf der Schreibunterlage lagen und trotzdem zitterten. Miguel Sanzarra stand unbewegt, die Arme vor der massigen Brust verschränkt, sein aufmerksamer Blick wanderte von Finch zu Gruber und wieder zurück. Fiona war auf den einzigen Stuhl gesunken, der vor dem völlig überfüllten Schreibtisch stand. Sie beobachtete, wie Gruber der Schweiß ausbrach, und fragte sich, was um alles in der Welt ihn so terrorisierte.
»Wir sind also am richtigen Platz«, stellte Finch befriedigt fest und warf dem alten Gruber einen letzten Blick zu, bevor er sich neben Fiona stellte, sich vorlehnte und beide Arme auf der Tischplatte abstützte. Er fixierte Gruber junior, der noch immer auf seine Hände starrte. »Lassen Sie mich raten«, sagte er leise. »Eine
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