Falsch
Brieftaube flatterte bei Ihnen durchs Fenster, völlig unerwartet, und sie brachte Ihnen etwas.«
Gruber nickte stumm.
»Etwas, das Sie offenbar nicht erwartet hatten.«
Gruber nickte wieder.
»Mit dem Sie nicht unbedingt etwas anfangen können.«
Dasselbe Nicken.
»Und es sieht ganz so aus, als hätte Sie dieses … Ding zu Tode erschreckt.«
Georg Gruber seufzte, dann nickte er erneut. »Vor allem meine Frau«, flüsterte er. »Ich hatte ja noch den Brief meines Vaters …« Er stockte, dann sah er auf. »Wer sind Sie überhaupt? Was wollen Sie von mir? Was geht Sie das alles an?«
»Mein Name ist John Finch, und dies ist Fiona Klausner, sie vertritt meinen Auftraggeber, Wilhelm Klausner. Auch er hatte Besuch von einer Brieftaube, auch er erhielt einen Hinweis. Meine Aufgabe ist es, die übrigen zwei Männer zu finden, die zwei Hinweise und sie zu Klausner zu bringen. Fragen Sie mich nicht, warum. Das müssen Sie Klausner selbst fragen.«
»Es gibt mehrere Brieftauben?«, fragte Georg erstaunt.
»Ja, drei, um genau zu sein. Eine flog nach Brasilien, in die Nähe des Rio Negro, eine nach Medellín und eine nach Bogotá, zu Ihnen. Was hatte Ihre Taube an den Fuß gebunden?«
»Einen Ring«, flüsterte Georg tonlos.
Finch runzelte die Stirn. Er wollte etwas sagen, aber Fiona unterbrach ihn mit einer kurzen Handbewegung.
»Señor Gruber, ich kann Ihre Ratlosigkeit und Ihr Erstaunen verstehen«, sagte sie mit einer Wärme in der Stimme, die Finch überraschte. »Wir werden hier offenbar alle von etwas eingeholt, das sich vor langer Zeit abgespielt hat und das vielleicht für immer im Dunkel der Vergangenheit bleiben sollte. Ich weiß es auch nicht, mein Großvater hat kaum mit mir darüber geredet. Es gibt derzeit drei Hinweise, nach meinen Informationen. Einen Schlüssel, von dem wir nicht wissen, was er sperrt. Den hat mein Großvater. Ein paar verworrene Zeilen auf einem kleinen Stück Papier, die wohl eine Nachricht sein sollen, die jedoch niemand versteht. Dieses Papier ist im Besitz von Señor Böttcher. Nun kommt noch der Ring dazu, den Sie erhalten haben. Könnte ich ihn sehen?«
Gruber zögerte. Es arbeitete in ihm, das war unschwer an seinem Gesicht abzulesen. »Ich … ich weiß nicht …«
»Was wissen Sie nicht?«, stieß John Finch nach.
»Ich habe einen Anruf erhalten … Man hat mir ein Angebot gemacht.«
»Für den Ring?«, fragte Finch misstrauisch. »Haben Sie die Landung der Taube an die große Glocke gehängt?«
Georg schüttelte energisch den Kopf. »Ich habe ihn lediglich einer Expertin gezeigt, da ich so gut wie nichts darüber wusste. Keine zwölf Stunden später rief ein Japaner an, ein Sammler, der mir eine Menge Geld für den Ring bot.«
»Haben Sie zugesagt?«, erkundigte sich Fiona besorgt.
»Nein, habe ich nicht, aber …« Gruber verstummte.
»Aber Sie überlegen«, beendete Finch den Satz und gab Fiona einen Wink. Dann fuhr er fort: »Lassen Sie mich nochmals raten, Señor Gruber. Der Sammler hat Ihnen ein Angebot gemacht, das man normalerweise nicht ablehnt. Und Sie können Geld gebrauchen, weil die Agentur …« Er blickte sich kurz um, sah die abgewohnten Möbel, die Löcher im Linoleum, die fleckigen Wände. »… nicht wirklich gut geht und Sie eine derartige Summe aus dem Gröbsten herausholen könnte.«
Georg sah das erste Mal auf und direkt in die grüngrauen Augen von Finch. »Ja«, sagte er einfach, »fünfzigtausend Dollar sind für mich eine Menge Geld. Normalerweise erzielt man nicht einmal ein Zehntel für einen solchen Ring. Jetzt kommen Sie …«
»… und Sie sehen Ihre Felle davonschwimmen«, ergänzte Fiona. »Wäre der Verkauf an den japanischen Sammler tatsächlich eine Option für Sie?«
Gruber nickte langsam. »Je länger ich darüber nachdenke, umso besser erscheint mir die Lösung. Sie müssen wissen, meine Frau war von dieser Taube, von diesem Ring terrorisiert. Sie sah in ihm etwas Bedrohliches, etwas Böses.«
»Und Sie?« Fiona kniff die Augen zusammen und lehnte sich vor.
»Ich? Als ich den Brief meines Vaters gelesen hatte, war mir klar, dass er sein ganzes Leben wohl auf die Taube gewartet hatte.« Gruber stützte den Kopf in seine Hände. »Irgendetwas muss an diesem Ring dran sein, aber ich kann es beim besten Willen nicht entdecken und auch nicht erklären. Und ich hatte gehofft …« Er schwieg.
»Was hatten Sie gehofft?«, fragte Fiona nach.
»… dass Sie niemals hier erscheinen«, vollendete Georg leise.
Stille
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