Falsche Brüder
er…“
Pause.
„Es gäbe noch einige andere Möglichkeiten. Aber zum
Zeitpunkt würden sie euer Risiko erhöhen. Macht es so…“ Es
war, als klängen seine Worte traurig.
Lang wurde hellhörig. „Andere Möglichkeiten, auch solche, die
Leben erhalten?“
„Nein!“ Das kam abermals hart und entschieden.
„Und die Kugeln?“ Franziskas Frage klang zaghaft. „Sie sind –
Untergeordnete, nicht wahr!“
„Ja – sie können nicht helfen und würden es auch nicht. Wenn
ihr meint, eure Chance zu haben, nutzt sie. Sie ist vielleicht auch
die unsere.“
„Könnt ihr zurück in eure Heimat?“, fragte Franziska leise.
Wieder kam das abrupte „Nein!“, aber gleich darauf ein
„Möglich“.
Da wir schwiegen, setzte er zögernd fort. „Im Archiv auf dem
Hauptschiff befinden sich vielleicht Unterlagen, die über
unsere Herkunft aussagen…“
„Warum ,vielleicht’?“, fragte Lang.
„Sie sollen damals, nach dem Aufstand, angeblich vernichtet
worden sein. Aber es bestehen Zweifel.“
Am Sechsundzwanzigsten des Monats war es so weit – vier Tage
vor der Ernte der grünen Kugeln, vorausgesetzt, die Kulturen
hatten etwa das gleiche Alter.
Und Lang zögerte nicht. Er wollte nun keinen Augenblick
länger warten. Allerdings rechnete ich ihm hoch an, dass er
mich mit keinem Wort gedrängt hatte, den Termin noch weiter
vorzuziehen.
In den Bereitschaftsräumen standen die Fahrzeuge, die die
Menschen rasch vom Gefahrenherd fortbringen würden, die
Artillerie hatte die Rohre auf die zugewiesenen Objekte
gerichtet, neue Bomberstaffeln standen bereit, das Übrige zu tun.
Pünktlich drei Uhr fünfzehn, zu einem Zeitpunkt, als die
Sonne so viel Licht über den Horizont sandte, dass man ohne
Scheinwerfer hantieren konnte, strömte das Wasser über das
Karbid. Wenig später drang das übel riechende Gas in die
Kuppeln. Die Sondertrupps würden die Kabel sprengen, größere
Kommandos die stumpfsinnigen Menschen zu den Fahrzeugen
führen, ein unsicherer Faktor übrigens, denn wir waren uns nicht
im Klaren, ob die Zeit ausreichen würde, noch vor dem
Einsetzen der Bombardements die Sicherheitszone zu erreichen.
Lang, ich und einige andere Offiziere saßen in der Gondel eines
Kleinluftschiffes, um den Angriff zu beobachten.
Jetzt verfluchte ich diesen Entschluss, und ich spürte, dass
auch Lang das Warten auf die Nerven ging. Was ich bei ihm
noch nie gesehen hatte: Er rauchte oder biss an einer Zigarette
herum, ich hatte nicht den Eindruck, dass er diesem üblen
nostalgischen Laster verfallen war.
Unter uns lag Dunst, eingeteilt in dunkle und hellere Flecke,
Vegetation und Seen, die ewige, so reizvolle finnische Landschaft.
Flau stieg die Sonne in den Horizont und zog den Schleier an
sich, fraß ihn gleichsam in sich hinein, selbst an Kraft dabei
gewinnend. Unten vertieften sich die Kontraste zwischen Licht
und Schatten.
Nur wenige Augenblicke genoss ich das. In Gedanken sah ich
die verschwitzten Gesichter der Männer, die durch das
Dämmerlicht hasteten, nur von dem einen Willen beseelt, zu
zerstören und zu vernichten, damit das Zerstören und Vernichten
ein Ende habe.
Und davon bemerkte man hier oben nichts. Ich suchte mit dem
Glas nach dem Ort Sikavuono. Am Rande, eine Gärtnerei
überdeckend, wusste ich eine Kuppel. Aber auch dort rührte sich
scheinbar nichts.
Eine waghalsige Lerche stieg beinahe bis zu uns auf. Ihr Trillern
ging mir auf die Nerven. Ich fürchtete unsinnigerweise, es
könnte wichtige Geräusche, die von unten heraufdrangen,
übertönen.
Ich weiß nicht, wie ich die letzten Minuten bis zum Beginn der
Kanonade überstand. Als sie dann losging, war ich beinahe
enttäuscht. Nur schwach hörten wir das Grollen
der
Abschüsse, und die Einschläge nahmen sich aus wie das
Platzen zum Aussporen gebrachter Boviste. Freilich, ein wenig
imposant war das wirre Gitterwerk der Leuchtspurgeschosse,
aber auch unscheinbar blass in den ersten Sonnenstrahlen.
Nur mühsam erhob sich das Brummen der Bomber über das
Land, und die rasche Detonationsfolge ihrer Ladung hörte sich
an, als führe ein Zug über eine Brücke.
Als ich später die Verwüstung sah, die wir angerichtet hatten,
war ich froh, dass das Schauspiel, das wir aus der Gondel
erlebten, sie nicht widergespiegelt hatte. Das Zerstörerische, das
in dieser Aktion lag, hätte mich schon eher bedrückt, mein
Gewissen belastet gegen alle Vernunft und besseres Wissen.
Fünfundzwanzig Kuppeln mit allem, was sie bargen, existierten
nicht
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