Falsche Brüder
Gedächtnis. Und da schwand
die Schwäche. Ich straffte mich. „Danke!“, sagte ich und legte
eine Sekunde lang dem Ringer die Hand auf die Schulter. Dann
nahm ich das Funkgerät. „Achtung!“, rief ich beharrlich. „Alles
hört auf mein Kommando! Es spricht Oberleutnant Walrot. Die
Gefahr ist nicht vorüber. In die Fahrzeuge!“ Ich musste den
Befehl mehrmals wiederholen, bis sich eine Wirkung
abzeichnete. Langsam lichtete sich die Straße, Autotüren
klappten, es wurde ruhig.
Dann sprach ich mit dem Rangältesten der Leute aus dem
Bus. Und ich erfuhr zu meinem Leidwesen, dass zwei Tote zu
beklagen waren und immerhin zwölf Mann verwundet wurden,
als die Schweber barsten. Aber niemand machte mir einen
Vorwurf. Sie kamen von der Front und wussten, was ihnen
bevorgestanden hätte, wären die Fremden zum Zuge gekommen.
Ich ließ im Licht der Scheinwerfer einiger Fahrzeuge die Straße
räumen. Jeep und Bus schoben wir in den Straßengraben.
Trümmerstücke der Schweber und die rauchenden Wracks hätte
ich allzu gern untersucht. Dazu blieb aber zunächst keine Zeit.
Dass dort gar noch etwas lebte, schien unmöglich, aber zu wenig
Material stand bisher über die Usurpatoren zur Verfügung,
vielleicht hatten sie Leben wie Katzen… Nun, man würde die
Überbleibsel bergen, sobald Gelegenheit dazu war.
Ich trieb zur Eile. Eine der Halbkugeln war entkommen.
Soweit die Fremdlinge kalkulierbar waren, konnte mit einem
Vergeltungsschlag gerechnet werden, jedenfalls musste man
sich darauf einrichten. Ich gab daher Befehl, dass sich weitere
Fahrzeuge hin zum Wald, zum Gros der Kolonne, abzusetzen
hatten. Da der Gegenverkehr ausblieb – wahrscheinlich war man
auf den Überfall aufmerksam geworden und hatte die Wagen
gestoppt –, verteilten wir die Insassen des Busses auf die
Fahrzeuge.
Vier Soldaten, die den Befehl missachtet hatten, und den
Toten aus dem Bus bereiteten wir neben der Straße Gräber.
Ich nahm im ersten Werfer Platz. Langsam hatte sich
herumgesprochen, dass ich der Initiator des
Überraschungsschlages gewesen war, und man begegnete mir
zunehmend mit Hochachtung. Ich genoss vom ersten
Augenblick an Autorität, es entstand so etwas wie ein Nimbus:
Sind wir mit ihm, sind wir auf der sicheren Seite.
Dass ich als nunmehr ranghöchster Offizier das Kommando
übernommen hatte, entsprach dem Reglement. Und dass ich es
spontan tat, lag einfach daran, dass ich mich um die jungen
unerfahrenen Leute sorgte. Sollte ich sie sich selbst überlassen
– so wie dieser Kladivo? Noch weitere acht Soldaten hatten
das Hasenpanier ergriffen. Hätte ich klein beigeben, mich
absetzen sollen? Grund hätte ich gehabt, schließlich musste ich
zu meiner Einheit. Ich ging zur Tagesaufgabe über, was sollte es!
Solchen Leuten, die bei der ersten Gelegenheit an ihren
Kameraden Verrat üben, trauert man nicht nach, man sucht sie
nicht, wartet nicht auf sie. Wollten sie von sich aus zurück,
würde es einen Weg geben, den sie allerdings suchen müssten…
Also gab ich Befehl zum Aufbruch. Ich fuhr nun im
Schlussfahrzeug.
Nach einer knappen halben Stunde trafen wir auf den größeren
Teil der Kolonne, die zwar in guter Deckung am Waldrand
stand, aber jedes Fahrzeug geneigt zum Straßengraben, also so
schräg, dass von einer Gefechtsbereitschaft keine Rede sein
konnte. Deshalb schufteten wir noch mehrere Stunden, bis ich
Nachtruhe anordnen konnte, nicht, ohne ausreichend Posten
aufgestellt zu haben.
Auf den Werfern hatten wir die Abschussrohrbündel so
gerichtet, dass je ein Drittel nach links oben, nach rechts oben
und steil nach vorn in den Himmel zielte.
Die meisten Leute taten ihre Arbeit mit einer verhaltenen
Begeisterung, denn selbstverständlich hatten die Dazugestoßenen
den anderen ihre Erlebnisse während des Überfalls mitgeteilt,
hatten meine Rolle dabei herausgestrichen und da und dort die
eigene in gutes Licht gestellt. Spaß machte mir der
Sommersprossige, den sie Manne nannten und dessen
Mundwerk nun auf einmal nicht mehr zum Stillstand kam. Er
hatte allen anderen natürlich den Vorteil voraus, tatsächlich
unmittelbar dabei gewesen zu sein, und man lauschte seinen
Darlegungen höchst aufmerksam.
Der junge Offizier hingegen gab sich schweigsam. Er
akzeptierte einerseits meine Befehlsgewalt, offenbar heilfroh,
dass er sie nicht hatte, aber es schien auch, als genierte er sich
seiner Unentschlossenheit, seiner – zurückhaltend ausgedrückt
– Zaghaftigkeit.
Den Ringer aber, Sven Hagfors, hatte ich
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