Falsche Brüder
sicherte mir zu, ihn sofort zu verständigen.
Meinen sehr knapp gehaltenen Bericht nahm er auf Band, was
mich sehr beruhigte. Das Ganze hatte kaum zehn Minuten in
Anspruch genommen.
Ich erfuhr noch, was mich freute, dass Sven Posten in der
Nähe der Basis der Fremden bezogen hatte.
Nach dem Anruf eilte ich auf den Platz vor dem Komplex.
Mindestens fünf Autobusse standen da herum. Die ersten zwei
brachte ich nicht in Gang. Mit dem dritten durchbrach ich einen
niedrigen Zaun, der das Hallengelände vom Vorplatz trennte.
Dann schob ich einfach den Lastkraftwagen frontal mit dem
Bus von der Luke ein Stück ab, sodass sie sich gerade so weit
öffnen ließ, dass der Grüne herausschweben konnte.
Er verharrte einen Augenblick, ich hatte den Eindruck, er
beäuge die Situation, dann sagte er: „Du meinst, der Motor ist
beschädigt?“
Ich tat gleichgültig. „Er sprang jedenfalls nicht mehr an.“
„Eine sehr anfällige Technik“, bemerkte er, und ich wunderte
mich ein weiteres Mal ob seiner menschverwandten Denkweise.
Ich konnte ihn überzeugen, an einer Kaufhalle noch einmal
niederzugehen, und ich entnahm den Regalen, was ich an
Brauchbarem schleppen konnte. Es roch in der Halle nach
verdorbenem Fleisch und gegorenem Obst.
Der Rückflug verlief schweigsam. Ich stand eingepfercht
zwischen Kalksäcken und meinen Vorräten. Wir hatten auch
einen Teil der ohnehin kleinen Pilotenkabine damit ausgefüllt.
Schon als wir zur Landung ansetzten, sagte er: „Du bist mir
unbegreiflich, Mensch!“ Und dann fügte er, für mich ungeheuer
tröstlich, hinzu: „Wenn ich es beeinflussen kann, wirst du
nicht programmiert, sondern mit dem Blitz getötet, später, wenn
wir dich nicht mehr brauchen.“
Möglicherweise war er mit diesem Angebot weit über die
allgemeine Order zum Umgang mit Menschen, vielleicht über
seine ihm aufgeprägte Empfindungsskala hinausgegangen. Ich
musste das durchaus zu schätzen wissen.
Sein Kaktus hatte durch das Geblitze schwarze Brandflecke
bekommen. Vielleicht würde es nicht unvorteilhaft sein, ihn aus
all den anderen grünen Kugeln herauszufinden. Immerhin war er
recht redselig.
„Wie alt bist du?“, fragte ich.
„Etwa zwei eurer Umläufe.“
„Werden die Unbemäntelten auch nur so alt?“
„Nein, um das Zehnfache älter. Anders wäre ihr Dasein nicht
rationell. Es geht viel Wissen mit ihnen unter.“
„Und mit dir?“
Er zögerte. „Ein kleiner Bruchteil…“
„Ab wann seid ihr in eurer Hülle arbeitsfähig?“
„In einer Vegetationsperiode.“
Na, das war dann schon eine Menge, die in den
Gewächshäusern stand. Wer weiß, wo überall sie weitere
errichteten. Und ich würde ihnen dabei vielleicht wesentlich
helfen, dass sie mit aufgefüllten Armeen gegen uns marschierten,
in einer Vegetationsperiode. „Und warum müsst ihr eine
bestimmte Größe haben?“
„Mit der Verkleinerung wird alles kleiner, das Feld…“ Er hielt
inne, hatte wahrscheinlich bedacht, dass er dies besser nicht
ausplaudern sollte.
Ich blieb am Ball. „Mir gegenüber könntest du ruhig offen sein.
Meine Tage sind gezählt, wie du sagst. Ich bin
euer
Gefangener.“ Ich bedauerte, dass man ihnen keine
Empfindungen anmerkte. Ich hätte jetzt zu gern sein Gesicht
gesehen. Er sagte dann auch: „Ich bin mir nicht sicher, ob der
Motor des Fahrzeuges wirklich entzwei war. Du bist ein
schlauer Mensch, Igor.“ Er sprach mich zum ersten Mal mit dem
Vornamen an.
Auf sein Kompliment ging ich nicht ein, fragte vielmehr – auch
um abzutasten, was die entstandene Beziehung zwischen ihm
und mir wert sein mochte –: „Was wäre geschehen, wenn ich dir
tatsächlich abhanden gekommen wäre?“
„Man hätte mich bestraft.“
„Wie?“
„Ihr würdet sagen, human. Eine Strafe, die man nicht spürt,
weil man sie nicht erfasst, sobald sie vollzogen ist. Und
natürlich ist sie nicht schmerzhaft.“
„Konkret?“
Er zögerte, als müsste er schon wieder ein Geheimnis
preisgeben. „Man hätte mich programmiert.“
„Bist du das nicht schon?“ Sogleich ärgerte ich mich über
diese vorlaute Bemerkung. Vielleicht nahm er übel. Aber das tat
er offenbar nicht.
„Programmieren heißt, eine bestimmte Funktion ausüben wie
ein Werkzeug, ein Computer.“
„So wie bei den Menschen, die Erde einbringen.“
„So ähnlich.“
„Auf Lebenszeit?“
„Nicht unbedingt.“
Mich durchzuckte ein schmerzlicher Gedanke an Dagmar.
Immer wieder musste ich die Bestätigung, dass der
Verblödungsprozess umkehrbar war, hören.
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